Rechtsextreme Krawalle Jagd auf Migranten in Chemnitz - Generalstaatsanwalt ermittelt

Berlin · Nach einem tödlich endenden Streit rief die rechtsextremistische Szene zu Protesten auf. Diese gerieten außer Kontrolle. Auch am Montagabend gab es wieder Verletzte. Gegen einen Iraker und einen Syrer wurden derweil Haftbefehle beantragt.

 Polizisten laufen nach Abbruch des Chemnitzer Stadtfestes über eine Straße.

Polizisten laufen nach Abbruch des Chemnitzer Stadtfestes über eine Straße.

Foto: dpa/Andreas Seidel

Bundesweites Entsetzen haben ausländerfeindliche Ausschreitungen in der sächsischen Stadt Chemnitz ausgelöst. Sie waren von der rechtsextremistischen Szene nach dem Tod eines 35-jährigen Mannes angezettelt worden. Die tödlichen Messerstiche sollen nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft von einem Iraker (23) und einem Syrer (22) verübt worden sein. Die Strafverfolger beantragten Haftbefehle gegen sie. Der sächsische Generalstaatsanwalt Hans Strobl zog am Montag die Ermittlungen an sich. Auf Videos ist zu sehen, wie Teilnehmer eines spontanen Protestmarsches in der Chemnitzer Innenstadt am Sonntag Jagd auf Menschen machen, die ausländisch aussehen.

Es sei „schrecklich“, dass in Chemnitz ein Mann getötet worden sei, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Dieses werde von der Polizei aufgeklärt und von der Justiz geahndet. Was dann aber geschehen sei, „das hat in unserem Rechtsstaat keinen Platz“, unterstrich Seibert. „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin“, so Seibert.

Die Eskalation geschah offenbar unter Teilnehmern eines mehrtägigen Stadtfestes. Am Sonntag gegen 3.15 Uhr war es laut Staatsanwaltschaft in Chemnitz nach einem „verbalen Disput zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen unterschiedlicher Nationalitäten gekommen“. Drei Männer hätten dabei schwere Verletzungen erlitten, ein 35-Jähriger starb noch in der Nacht. Die AfD rief daraufhin zu einem spontanen Protest auf, dem am Nachmittag rund hundert Menschen folgten und der nach einer Stunde ohne Zwischenfälle zu Ende ging.

Danach versammelten sich erneut etwa 800 Menschen. Sie attackierten offenbar Polizeibeamte durch Flaschenwürfe und riefen Parolen wie „Ausländer raus“. Auf einem Video ist zu sehen, wie eine Gruppe dunkelhäutigen Männern hinterherläuft und nach ihnen tritt. Der sächsische Verfassungsschutz berichtete von rechtsextremistischen Hooligan-Strukturen in Chemnitz. „Diese Szene war auch in der jüngeren Vergangenheit wiederholt beteiligt an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Personen mit Migrationshintergrund“, sagte Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath. Die Gruppen heißen „NS-Boys“ und „Kaotic Chemnitz“.

Am Montagabend gab es eine erneute Proteste rechter und linker Gruppierungen. Mehr als 3000 Menschen versammelten sich insgesamt. Bei Zusammenstößen beider Seiten hat es nach Polizeiangaben mehrere Verletzte gegeben. Sie hätten zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht werden müssen, nachdem Kundgebungsteilnehmer der beiden Versammlungslager mit "Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen" geworfen hätten, teilte die Polizei mit. Beamte rückten den Angaben zufolge mit Wasserwerfern an. Einige Rechtspopulisten sollen zudem "nach ersten Hinweisen" den Hitlergruß gezeigt haben.

 Polizei und rechte Demonstranten am Montagabend in Chemnitz.

Polizei und rechte Demonstranten am Montagabend in Chemnitz.

Foto: AP/Jens Meyer

Vorher hatte der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier für Empörung gesorgt, indem er via Twitter dazu aufrief, die „Messermigration“ zu stoppen. Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen könne, „gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selbst“, schrieb Frohnmaier.

„In Chemnitz scheint eine Art Lynchjustiz um sich zu greifen“, sagte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae. „Für Selbstjustiz ist in unserem Rechtsstaat kein Platz“, unterstrich CDU-Innenexperte Mathias Middelberg. Vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen warnte SPD-Innenexperte Burkhard Lischka. „Es gibt in unserem Land einen kleinen rechten Mob, der jeden Anlass zum Vorwand nimmt, seine Gewaltphantasien von bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf unsere Straßen zu tragen“, sagte Lischka. Dass im Bundestag eine Partei diese Exzesse beklatsche, zeigt nach Überzeugung Lischkas, „dass die Mehrheit unseres Landes noch viel lauter werden muss, wenn es um Rechtsstaat, Demokratie und Zusammenhalt geht“.

Mit Material von dpa und AFP.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort