Wie die SPD zu retten ist Letzte Ausfahrt Opposition

Düsseldorf (RP). Links zu sein, heißt nicht mehr zwangsläufig Veränderung und Aufbruch -­ ein existenzielles Problem für die Sozialdemokratie: Sie braucht dringend ein neues linkes Projekt. Aber das dürfte in der Regierung kaum zu finden sein.

Vergleich der Köpfe: Union - SPD
12 Bilder

Vergleich der Köpfe: Union - SPD

12 Bilder

Vielleicht hilft es, das Pferd einmal von hinten aufzuzäumen, um Glanz und Elend der SPD besser zu verstehen. Und vielleicht hilft es, dafür 130 Jahre zurückzublicken. Man könne der Invasion von Armeen widerstehen, aber nicht der Invasion von Ideen, schrieb Victor Hugo 1877. Der Volksmund schliff daraus die Sentenz: Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Ist auch der Umkehrschluss erlaubt -­ nichts ist so schwach wie eine Idee, deren Zeit abgelaufen ist? Wer sich die deutsche Sozialdemokratie besieht, könnte zu diesem Schluss kommen.

Nicht nur, weil die Werte bei der Sonntagsfrage derzeit immer noch - oder wieder - im Keller sind. Nicht nur, weil Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier offenbar im direkten Vergleich mit Angela Merkel keinen Stich macht. Nicht nur, weil sich die SPD totgesiegt und den eigenen Ast abgesägt hätte, indem sie ihre epochalen Ziele wie Emanzipation und Umverteilung erreicht hat. Sondern auch, weil sich ein Mentalitätswandel vollzogen hat. Die Gesellschaft ist konservativer geworden -­ nicht parteipolitisch, sondern in einem viel umfassenderen Sinn.

Links zu sein, hat Sebastian Haffner schon 1980 festgestellt, heiße nicht mehr nur, optimistisch zu sein, Veränderung zu wollen und an das Gute im Menschen zu glauben: "Überall unter Linken hört man heute nicht mehr ein einstimmiges ,Vorwärts!‘, sondern ebenso laut, fast schon lauter, ein verzweifeltes ,Zurück! Zurück! Um Gottes willen zurück!‘ Das hätte man früher Reaktion genannt.” In diesem Sinne ist die SPD heute in der Tat nicht mehr besonders links. Die Sozialdemokratie, die Basis zumal, würde die schmerzlichen und von vielen als Verrat an den eigenen Grundsätzen empfundenen Reformen der Ära Gerhard Schröder am liebsten rückgängig machen, um mit dem eigenen Gewissen (und mit den ehemaligen Wählern) ins Reine zu kommen. Links zu sein, kann auch bedeuten, Erreichtes unbedingt bewahren zu wollen.

Aber in einem linken Sinne konservativ sein -­ das bekommt der SPD nicht gut, trotz des gesellschaftlichen Großklimas; das können andere besser: die Grünen in der Ökologie, die Linke in der Sozialpolitik, bisweilen gar die Union in Sachen Wirtschaft. Was bei dem Versuch der SPD herauskommt, links und konservativ zu sein, sind Gestalten wie Kurt Beck, denen eher der Mief des Provinziellen anhaftet als der des sozial-ökologischen Gewissens. Die große Zeit der SPD, das waren die Sechziger und Siebziger, als nicht abwehrendes Händeheben, sondern Öffnung und Planbarkeit das Credo der Linken war ­- oft sogar gleichzeitig, etwa in der Bildungspolitik: Die Hochschulen wurden breiteren Schichten zugänglich, zugleich die konstruktive Energie der Studentenbewegung genutzt und kanalisiert. Die Sozialdemokraten haben ihre größten Zeiten als Neumacher erlebt, nicht als Bewahrer.

Und wo schon nicht der Drang zum Einfrieren des (oft von Sozialdemokraten) Erreichten sich Bahn gebrochen hat, da regiert der Pragmatismus die Bundesrepublik. Pragmatisch zu sein, ist aber ebenfalls keine genuin sozialdemokratische Tugend, sondern eher Erkennungszeichen konservativer Parteien. 1983 rief der Soziologe Ralf Dahrendorf das "Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts” aus. Vielleicht 25 Jahre zu früh -­ es kam noch eine sozialdemokratische Renaissance, mit Tony Blair in Großbritannien und Gerhard Schröder in Deutschland. Gerade diese beiden aber bezeichnen nicht nur die Spätblüte des Sozialdemokratismus, sondern sind zugleich seine Überwinder.

Denn beide wandten sich vom traditionellen Umverteilungskurs ab, schlachteten die Heiligen Kühe des gewerkschaftsnahen Establishments ihrer Parteien und zogen so den Vorwurf auf sich, Wölfe im Schafspelz zu sein, Neoliberale mit rotem Parteibuch. Es ist kein Zufall, dass das Papier von 1999, in dem sich Großbritannien und Deutschland einem "Dritten Weg” verpflichteten, von Schröder und Blair aufgesetzt wurde. Und es ist kein Zufall, dass Schröder in den Geburtswehen der Arbeitsmarktreformen 2004 als erstes nicht die Kanzlerschaft, sondern sein Amt als Parteichef verlor ­- und zwar an Franz Müntefering, der seither den Lordsiegelbewahrer der Sozialdemokratie gibt.

Gerhard Schröders Sozialreformen retteten einstweilen die Staatsfinanzen. Nur eine sozialdemokratische, also eigentlich linke Regierung konnte sie ins Werk setzen. Eine sozialdemokratische Regierung setzte damit allerdings auch ihre Existenz aufs Spiel und die ihrer Partei gleich mit. Schröder könnte am Ende beides gewesen sein: Patriot und Totengräber der eigenen Partei.

So weit sollte es nicht kommen. Denn die SPD wird noch gebraucht, dringend sogar, spätestens seit sich jenseits von ihr die Linke als sozialradikale Partei anschickt, dauerhaft im Bundestag heimisch zu werden. Nötig ist dazu jedoch eine gründliche Regeneration. Wie 1982 ist die deutsche Sozialdemokratie inhaltlich und personell ausgelaugt vom jahrelangen Regieren. Pragmatismus ("Durchwursteln”) kann für die Union funktionieren, ist für linke Parteien wie die SPD aber eine Sackgasse. Regeneration kann sich für eine linke Partei nur in der Opposition vollziehen, weil sie nur hier genügend wenig Verantwortung besitzt, ein Politikmodell zu entwerfen, das ein bisschen utopisch ist, das Anziehungskraft auch auf Bürger hat, die eigentlich nicht SPD wählen. "Die einzige Chance, die zur Linken und zu den Grünen abgewanderten Wähler zurückzugewinnen, hat die SPD wohl aus der Opposition heraus”, sagt der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter: "In der Regierung tut sie sich häufig schwer, weil sie programmorientierter ist als konservative Parteien.”

Eine Oppositionspartei kann, darf, muss mehr wollen als eine Regierungspartei, eine linke Oppositionspartei erst recht. Was her muss, ist ein neues Projekt -­ wie 1969 das Vorhaben, die Gesellschaft durchzulüften und der Außenpolitik neuen Kurs zu geben; wie 1998 der Vorsatz, Politik so modern zu machen, wie das Land längst war. Projekte findet man aber nicht auf dem Regierungssofa. Projekte liegen versteckt unter der Oppositionsbank.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort