Deutschland-Plan Steinmeiers Strategiewechsel schlägt an

Düsseldorf (RPO). Von einer Trendwende für die SPD zu sprechen, wäre zu früh. Aber nachdem die erste Welle der Kritik am Deutschlandplan von Frank-Walter Steinmeier verebbt ist, kann der SPD-Kanzlerkandidat zunehmend freundlichere Töne zu seinen Vollbeschäftigungsplänen für Deutschland registrieren. Seine Strategiewende macht sich bezahlt.

Was die Presse von Steinmeiers Deutschlandplan hält
Infos

Was die Presse von Steinmeiers Deutschlandplan hält

Infos
Foto: ddp

Mit Themen und Inhalten will er nun der weit entrückten Angela Merkel (CDU) noch auf den Pelz rücken. Zuvor hatte SPD-Parteichef Franz Müntefering das mit aggressiver Rhetorik versucht. Müntefering drosch immer wieder auf Merkel, Guttenberg und den Kapitalismus ein — ohne die Beliebtheitswerte der SPD in den Umfragen erkennbar verbessern zu können.

Steinmeier steuert nun um. Auf Anraten seines neuen Sprechers Thomas Steg, wie es heißt. Der ehemalige Sprecher der Bundesregierung gilt als erwiesener Medienprofi. Statt krawalliger Töne konzentriert Steinmeier sich nun wieder seinem Wesen gemäß um sachorientierten Wettstreit der Ideen.

Erste Ergebnisse des neuen SPD-Ansatzes sind das 18-köpfige Kompetenzteam und der nur wenige Tage später nachgelegte Zukunftsentwurf für Deutschland. Für beide Entwürfe hat Steinmeier Prügel einstecken müssen. Vor allem am Wochenende überzogen politische Konkurrenz und Teile der Presse das von Steinmeier für 2020 ausgegebene Ziel der Vollbeschäftigung mit Spott und Häme.

Themen statt Personen

Am Montagabend folgte die offizielle Vorstellung des 67 Seiten dicken Konzepts, das in vielen Medien den Titel "Deutschlandplan" erhalten hat. Steinmeier sprach im Forum der Karl-Schiller-Stiftung in Berlins Altem Stadthaus vor einer erklecklichen Zahl von Unternehmern, Managern und Wirtschaftsexperten. Anfangs nervös, später immer sicherer. Zentrale Botschaft: Vier Millionen neue Arbeitsplätze bis zum Jahr 2020, zu schaffen in den Wachstumsbranchen Umwelttechnologie, Dienstleistungs-, und Gesundheits-Industrie.

Zu den Vorstellungen des Kanzlerkandidaten kann man stehen wie man will — zumindest hat es der Kandidat geschafft, die SPD mit einem Thema und einer Zukunftsvision wieder für den Wahlkampf interessant zu machen. Und bei dieser Gelegenheit auch eine noch vor wenigen Tagen alles überdeckende Affäre um eine gewissen Ulla Schmidt vergessen zu machen.

Lob aus den Unternehmen

Die Resonanz auf den Deutschlandplan ist geteilt. Es gibt Wahlkampfkritik wie etwa die von Seiten der Union, die Steinmeiers Ziel der Vollbeschäftigung als unrealistisch geißelt. "Wir halten Arbeit für alle für möglich und arbeiten für die Erreichung dieses Ziels", heißt es zwar im Wahlprogramm der Union, aber wen interessiert das schon, wenn in wenigen Tagen Bundestagswahl ist?

Doch neben politischen Kampfestönen gibt es auch durchaus ernstzunehmende Stimmen aus der Wirtschaft und Wissenschaft. "Die Pläne Steinmeiers, Deutschland im Bereich der Software zu stärken, finde ich sehr gut", sagte etwa Leo Apotheker, Chef der Softwareschmiede SAP, der "Financial Times Deutschland". Dabei lobte er vor allem die Vorschläge zum Bildungsbereich und zur Förderung von Frauen im Berufsleben. "Hier haben wir gegenüber den USA und Indien großen Nachholbedarf", betonte Apotheker. Software werde als Standortfaktor immer wichtiger.

Auch Emanuele Gatti, Vorstandsmitglied des Medizintechnikherstellers Fresenius Medical Care, stimmt Steinmeier zu: "Im Gesundheitssektor sehe ich ein großes Wachstumspotenzial, das auch zur Schaffung einer hohen Anzahl neuer Arbeitsplätze beitragen wird", sagte Gatti. Dies gelte nicht nur für den Pflegebereich, sondern auch für IT-Spezialisten, Nano- und Materialtechnikern. Hier werde es starke Zuwachsraten geben.

Langfristige Orientierung

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, lobte das Ziel, bis 2020 vier Millionen Arbeitsplätze neu zu schaffen und Vollbeschäftigung zu erreichen. Trotz Krise sei es notwendig, wieder mittel- und langfristig Orientierung aufzunehmen, meinte der Experte. "Von 2005 bis 2008 haben wir 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen können, davon 1,2 Millionen sozialversicherungspflichtig. Das zeigt, dass das möglich ist."

Fürsprecher findet Steinmeier zudem bei Gewerkschaften und Umweltschützern — Gruppen, die sich in der jüngsten mit den Sozialdemokraten schwer getan haben. "Steinmeiers Vorstoß muss dazu führen, dass sich endlich alle Parteien dazu bekennen, die derzeitige Krise als Chance für den Durchbruch einer zukunftsfähigen Wirtschafts- und Klimapolitik zu nutzen", heißt es von der Umweltorganisation WWF.

Und auch Gewerkschafts-Chef Hubertus Schmoldt findet lobende Worte. Der Hannoverschen "Allgemeinen Zeitung" sagte der erste Mann der IG-BCE: "Ein ganz wichtiger Vorteil seines Konzepts ist, dass es der Realwirtschaft die zentrale Stellung zuweist."

Heftiger Widerspruch aus der Wissenschaft

So sehr sich Steinmeiers Befürworter für den SPD-Mann in die Bresche werfen, so heftig fällt von anderer Seite der Widerspruch aus. So kritisierte das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) das Jobversprechen der SPD als anmaßend. "Was Steinmeier als Beschäftigungswunder vorschlage, sehe "ein wenig nach Planwirtschaft aus", sagte IfW-Konjunkturchef Joachim Scheider der "Berliner Zeitung". So viel Einfluss auf die Beschäftigung habe der Staat nicht.

Auch bei anderen Experten aus der Wissenschaft stieß Steinmeier auf unverhohlene Skepsis. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Wolfgang Franz, nannte die Pläne in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" eine "riskante Strategie". Er erinnerte an die Altkanzler Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD), die beide mit konkreten Zielen am Arbeitsmarkt gescheitert waren.

Deutschland streitet über seine Zukunft

Die Arbeitgeber äußerten sich ebenfalls kritisch. "Es ist unrealistisch, den Menschen vier Millionen neue Arbeitsplätze in den nächsten zehn Jahren zu versprechen, ohne ein klares Bekenntnis zu besseren Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung abzugeben", sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und verlangte eine Rückkehr zum Reformkurs der Agenda 2010. Es sei Augenwischerei, Vollbeschäftigung anzukündigen und gleichzeitig gesetzliche Mindestlöhne zu fordern, die Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen den Einstieg in Arbeit vebauten.

Deutschland streitet über die Gestaltung seiner Zukunft. Noch sind es überwiegend Interessengruppen und Lobbyisten, die über den Deutschlandplan zanken. Steinmeier will nun seine Botschaft unter die Leute bringen. Am Dienstag begann der SPD-Kanzlerkandidat in Herten seine Sommerreise durch Deutschland. Sein Mantra: "Vier Millionen Arbeitsplätze in zehn Jahren, das ist realistisch, das ist machbar."

Mit Material von AP/RTR/ddp

(AP/RTR/ddp)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort