Zweifel an der Rechtmäßigkeit Anti-Terrordatei steht in der Kritik

Karlsruhe · Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am Dienstag über die Rechtmäßigkeit der Antiterrordatei. In ihr sammeln seit 2007 Geheimdienste und Polizei gemeinsam Daten über islamistische Gewalttäter und deren Kontaktpersonen. Genau das ist für einen pensionierten Richter das Problem.

Die wichtigsten Fragen zur Anti-Terror-Datei
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Foto: ddp

Glaubt man Robert Suermann, ist die Bundesrepublik auf dem Weg in einen Überwachungsstaat. Grund ist laut dem pensioniertem Richter die sogenannte Antiterrordatei (ATD) zu islamistischen Gewalttätern und deren Kontaktpersonen, die von den Geheimdiensten und der Polizei seit März 2007 gemeinsam betrieben wird.

Rückblick: Am 30. März 2007 schaltete der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble die Antiterrordatei frei. "Durch die zentrale Antiterrordatei werden Erkenntnisse zu Personen aus dem Bereich des internationalen Terrorismus und des ihn unterstützenden Extremismus, die bei den Polizeien und Nachrichtendiensten vorhanden sind, rasch auffindbar", heißt es auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern.

Heimlich und zügig

Nach Ansicht des Juristen ist genau die Passage über das rasche Auffinden das Problem bei der ATD. Sie ermögliche eine heimliche und zügige Überwachung auch unbescholtener Bürger "wie zur NS-Zeit durch die Gestapo". Der ehemalige Richter zog deshalb vor das Bundesverfassungsgericht, das am Dienstag über seine Klage verhandelt.

Die Verfassungshüter müssen prüfen, ob das bislang übliche Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten Verfassungsrang hat oder durchlöchert werden darf.

Überwachung ohne richterliche Erlaubnis

Die Risiken, die die Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten in sich birgt, sind Kritikern zufolge groß: Geheimdienste dürfen ohne richterliche Erlaubnis Telefone und Bankkonten überwachen sowie Briefe und Mails lesen, wenn sie "Anhaltspunkte" für verfassungsfeindliche Bestrebungen haben. Schon eine anonyme Anschuldigung kann ausreichen. Die Polizei hat diese Befugnisse nicht. Heimlich Überwachen darf sie in der Regel nur mit richterlicher Erlaubnis.

Durch die ATD erhält die Polizei nun aber Zugang zu Daten, die sie selbst nicht hätte erheben dürfen. Gespeichert werden dort nach Angaben des Bundesverfassungsgerichts neben den Grunddaten zu Personen auch deren Fotos, besondere körperliche Merkmale, Telefonnummern, E-Mail-Adressen, IP-Adressen der Computer, Bankverbindungen, "terrorismusrelevante Fähigkeiten", Ausbildung, Beruf, Gefährlichkeit, Waffenbesitz, Gewaltbereitschaft, Führer- und Flugscheine sowie Daten zu besuchten Orten oder Gebieten.

16.000 Personen in der Datei

In die ATD wurden aber nicht nur etwa 400 in Deutschland lebende mutmaßlich gewaltbereite Islamisten aufgenommen, sondern auch deren Unterstützer und andere "Kontaktpersonen". Dass darunter womöglich viele unbescholtene Nachbarn, Kollegen, Verwandte und andere Bürger sein könnten, dafür spricht die Zahl von über 16.000 Menschen, die laut Bundesverfassungsgericht bislang in der ATD gespeichert wurden.

Die Behörden machen es Bürgern, die wissen wollen, ob sie in der Datei gelandet sind, allerdings schwer. "Von Amts wegen" wird ein Betroffener nicht über die Speicherung informiert. Um umfassende Auskunft zu erhalten, muss er sich deshalb selbst an alle Behörden wenden, die beim großen Speichern mitmachen. Laut Karlsruhe sind das "derzeit über 60".

Urteil im kommenden Frühjahr

Die Verfassungshüter werden in der mündlichen Verhandlung ihrer Gliederung zufolge nun vor allem zwei wesentliche Fragen prüfen: Grundsätzlich, ob und unter welchen Bedingungen die Verbunddatei wegen der unterschiedlichen Aufgaben von Nachrichtendiensten und Polizei verfassungsrechtlich zulässig ist. Bislang hat Karlsruhe noch keine Entscheidung zur Bedeutung und Reichweite des Trennungsgebots getroffen und mit der Klage erstmals Gelegenheit dazu.

Und das Gericht will "insbesondere" entscheiden, welche Kontaktpersonen aus dem Umfeld von terroristischen Straftätern gespeichert werden dürfen und welche nicht. Gut möglich, dass dann nach dem Urteil, das im kommenden Frühjahr erwartet wird, tausende Daten weiterhin ahnungsloser Bürger aus der ATD wieder gelöscht werden müssen, weil mit der Datensammelwut gegen ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen wurde.

(AFP)
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