Mohammed bin Salman Arabiens blutiger Aufbruch hat einen Namen

Saudi-Arabiens Thronfolger Mohammed bin Salman steht zwischen Machtanspruch und Reformdruck. Sollte er aus der Affäre um den Mord von Jamal Khashoggi gestärkt hervorgehen, hätte das weitreichende Folgen.

Einen Monat nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Kha­shoggi in Istanbul gerät der mächtige saudische Thronfolger Mohammed bin Salman unter wachsenden Druck: Gerüchte über eine Ablösung des 33-Jährigen machen die Runde. Doch das Verbrechen wird nicht nur zur Krise für den Thronfolger in Riad. Der Mord wirft ein Schlaglicht auf die ungewisse Zukunft arabischer Staaten, die wirtschaftliche Reformen anstreben, politische Forderungen aber unterdrücken. Mohammed bin Salman, genannt „MBS“, hat sich vorgenommen, sein Land radikal zu modernisieren, ohne dabei mehr politische Mitsprache zuzulassen. Der Mord an Khashoggi treibt diese Politik auf die Spitze: Der Journalist musste sterben, weil er bei aller Unterstützung für die Wirtschaftsreformen in Riad die Politik von MBS kritisiert hatte.

Seitdem König Salman seinen Sohn Mohammed im Juni vergangenen Jahres zum Kronprinzen ernannt hat, präsentiert sich der Thronfolger als Vordenker eines neuen Saudi-Arabien. Doch seither hat der Ruf des Prinzen als Reformer gelitten. Der brutale Krieg im Jemen, für den „MBS“ verantwortlich ist, kostet den Staat bis zu sieben Milliarden Dollar pro Monat. Vor einem Jahr internierte der Kronprinz andere Mitglieder der Königsfamilie in einem Luxushotel in Riad. Und nun hat der Mord an Khashoggi, der offenbar von Vertrauten des Prinzen verübt wurde, weltweit das Klischee vom brutalen orientalischen Herrscherhaus verstärkt und die Bemühungen um ein neues Image zur Makulatur gemacht.

Deshalb wird inzwischen über eine Ablösung von „MBS“ spekuliert. Offiziell werden Berichte über einen wachsenden Groll im Königsclan gegen Mohammed zwar zurückgewiesen. Er sitze als Kronprinz fest im Sattel, sagte der frühere Geheimdienstchef Prinz Turki al Faisal, ein einflussreiches Mitglied der Regentenfamilie, der „Washington Post“. Diese Einschätzung wird jedoch nicht von allen Beobachtern geteilt. Der jüngere Bruder von König Salman, Prinz Ahmad bin Abdulasis, kehrte vor wenigen Tagen aus seinem Wohnort London nach Riad zurück. Laut Medienberichten will Prinz Ahmad mit breiter Unterstützung der Königsfamilie und westlicher Partner von Saudi-Arabien versuchen, „MBS“ zu entmachten und möglicherweise selbst das Amt des Kronprinzen übernehmen. Der im deutschen Exil lebende saudische Prinz und „MBS“-Gegner Khalid bin Farhan al Saud erwartet laut Medienberichten einen baldigen Putsch gegen König Salman und den Kronprinzen. Auch bei internationalen Akteuren wie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat sich MBS sehr unbeliebt gemacht. Laut Medienberichten will Erdogan die Khashoggi-Affäre dazu nutzen, die Ablösung des Thronfolgers zu betreiben. Regierungsnahe Medien in der Türkei fordern die Entlassung von Mohammed. Auch in westlichen Hauptstädten wird Kritik laut.

Eine Entmachtung des Thronfolgers wäre angesichts seiner Machtfülle allerdings schwierig. Er ist nicht nur Kronprinz, sondern auch saudischer Verteidigungsminister und oberster Chef der Geheimdienste. Sicherheitsbehörden, die früher von verschiedenen Zweigen der Königsfamilie kontrolliert worden seien, würden inzwischen einzig und allein dem Thronfolger unterstehen, betonte Yezid Sayigh vom Carnegie-Nahostzentrum in Beirut.

Zudem hat „MBS“ viele Führungspositionen in Armee und Geheimdienst mit seinen eigenen Gefolgsleuten besetzt. Ob mit oder ohne Palastrevolte: Riad steht vor großen Problemen. Dass ein Umbau des saudischen Staates mittelfristig unausweichlich ist, liegt auf der Hand. Mohammed will das bewerkstelligen, ohne die Macht der Königsfamilie zu gefährden – und ohne Kritikern wie Khashoggi eine Chance zu geben. Wie Herrscher in anderen ölreichen Nationen im Nahen Osten hat die saudische Monarchie über die Jahrzehnte einen Gesellschaftsvertrag gepflegt, bei dem die Bevölkerung mit den Erlösen aus den Ölexporten ruhig gehalten wird. Aufgeblähte Bürokratien und Staatsunternehmen garantieren vielen Menschen sichere Arbeitsplätze, im Gegenzug verzichten die Bürger auf politische Mitsprache. Regionale Partner ohne reiche Ölvorkommen, wie Ägypten oder Jordanien, werden mit Milliardensummen stabilisiert.

Dieses Modell funktioniert aus drei Gründen nicht mehr. Erstens wächst die Bevölkerung so stark, dass immer mehr junge Menschen ohne Job bleiben – in Jordanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 40 Prozent, in Saudi-Arabien bei 25 Prozent. Zweitens können sich Unzufriedene dank Internet und sozialer Medien leichter zusammenfinden als früher. Und drittens bedeutet der Absturz der Ölpreise um fast 30 Prozent seit 2013, dass weniger Geld da ist, das verteilt werden kann.

Die Gewissheit, dass die Ölvorräte irgendwann in den kommenden Jahrzehnten zur Neige gehen werden, bildet das Hauptmotiv für den wirtschaftlichen Reformplan von Mohammed bin Salman. In seinem Programm mit dem Titel „Vision 2030“ erscheint Saudi-Arabien als moderner Hightech-Staat mit jugendfreundlichen Einrichtungen wie Kinos. Die Vision leidet an inneren Widersprüchen. Viele Ziele, wie die Stärkung des privaten Unternehmertums, erfordern einen verminderten Einfluss des Königshauses. Ein saudischer Steve Jobs braucht die Möglichkeit zu freiem Denken – derzeit würde er wohl eher im Kerker landen. Andere arabische Herrscher schauen mit Spannung auf das saudische Experiment. Falls „MBS“ scheitert oder entmachtet wird, dürften die Schockwellen die ganze Region erfassen. Falls er Erfolg hat, wird er in anderen Staaten Nachahmer finden. Noch steht die Antwort auf die Frage aus, wie sich die arabischen Staaten an die Realitäten des 21. Jahrhunderts anpassen werden. Eines ist aber schon jetzt klar: Einfache Lösungen wird es nicht geben.

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