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Österreich droht neuer Skandal Dreimal durch den Schredder

Wien · Ein enger Vertrauter des österreichischen Ex-Bundeskanzlers Sebastian Kurz hat angeblich kurz nach Publikwerden des Ibiza-Videos fünf Festplatten schreddern lassen. Die politischen Gegner wittern Morgenluft.

 Österreichs Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz im Juni 2019 (Archivfoto).

Österreichs Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz im Juni 2019 (Archivfoto).

Foto: dpa/Hans Punz

Wenn Österreicher auf Unfassbares stoßen, rufen sie gern: „Bist du deppert?“ Aktueller Anlass ist die sogenannte Schredderaffäre, die seit Tagen immer neue, eben reichlich deppert anmutende Details aus dem Umfeld des gestürzten Kanzlers Sebastian Kurz zutage fördert. Im Visier steht ein offenbar übereifriger und zugleich überforderter enger Vertrauter von Kurz namens Arno M., der die Social-Media-Abteilung im Kanzleramt leitete.

Am 23. Mai tauchte M. bei der Firma Reisswolf auf, um Datenträger schreddern zu lassen. Die Wiener Stadtzeitung „Falter“ berichtet in der jüngsten Ausgabe, dass nicht nur eine, wie ursprünglich angenommen, sondern fünf Drucker-Festplatten gelöscht worden seien. Über die Brisanz des Inhalts schießen die Spekulationen ins Kraut. Davon hätte die Öffentlichkeit vermutlich nie etwas erfahren, hätte M. nicht fatale Fehler gemacht.

Wie „deppert“ muss man sein, fragt man sich jetzt in Österreich, bei der Schredderfirma einen falschen Namen und eine falsche Adresse anzugeben, aber seine korrekte Handynummer zu hinterlassen und danach zu vergessen, eine Rechnung über 76 Euro zu begleichen? Die Geschäftsführung forschte den Namen des merkwürdigen Auftraggebers aus. Geschäftsführer Siegfried Schmedler sagte dem „Falter“, ein Firmenmitarbeiter habe M. Tage später im Fernsehen wiedererkannt, hinter Kurz stehend, der gerade vor Anhängern seinen Rücktritt bekanntgab. Da sei ihm, Schmedler, die Sache derart verdächtig erschienen, dass er bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft Anzeige erstattet habe.

Kurz, der sich derzeit in den USA aufhält, versuchte, die Datenschredderei als „üblichen Vorgang“ bei einem Regierungswechsel kleinzureden. Doch viele Details widersprechen dieser Deutung. Schmedler sagte auch, es sei ihm „noch nie passiert“, dass sich ein Kunde so nervös verhalten habe wie der Kanzleramtsgehilfe M. „Er hat die Festplatten auf keinen Fall aus der Hand geben wollen.“ Er habe verlangt, die Datenträger dreimal zu schreddern, obwohl einmal genügt hätte. Auch habe er es abgelehnt, dass der Schrott in der Firma entsorgt werde, er habe diesen eingepackt und mitgenommen.

Der „Falter“ veröffentlichte am Dienstag auch ein Firmenvideo, das M.s seltsames Verhalten in der Schredderhalle dokumentiert. Die politische Brisanz der Daten-Äffäre besteht darin, dass sie zeitlich mit dem Platzen des Ibiza-Skandals zusammenfällt. Heinz-Christian Strache, Chef der rechten FPÖ, war vor zwei Jahren heimlich auf der Baleareninsel gefilmt worden, wie er sich vor der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen damit brüstet, über welche Macht er als künftiger Vizekanzler verfügen werde. Er werde lukrative Staatsaufträge in die Wege leiten, als Gegenleistung zeigte er sich für illegale Parteispenden aus Moskau empfänglich. „A b’soffene G’schicht“, redete sich Strache heraus. Vom Ibiza-Video erfuhren die Österreicher erstmals am 17. Mai; der Kanzleramtsgehilfe M. ließ die Druckerfestplatten am 23. Mai schreddern, also fünf Tage vor dem Rücktritt der Kurz/Strache-Regierung.

Zu dem Zeitpunkt war nur die Rede davon, dass die Opposition im Parlament ein Misstrauensvotum plane. Darum sticht das Argument von Kurz nicht, wonach Datenlöschungen bei Regierungswechseln üblich seien, weil dieser noch keineswegs in Sicht war. Kurz bemühte sich bis zuletzt, die Koalition zu retten. Er besteht darauf, dass die Datenschredderei nichts mit dem Ibiza-Skandal zu tun habe. Da ist seine Nachfolgerin Brigitte Bierlein, die erste Kanzlerin Österreichs, anderer Ansicht: Sie hält Löschungen von Daten, sofern diese für das Staatsarchiv irrelevant sind, für nichts Ungewöhnliches. Wohl aber will Bierlein prüfen lassen, ob ein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen besteht.

Die Korruptionsstaatswaltschaft sah zuvor schon Grund genug, eine „Soko Ibiza“ einzurichten. Denn es stellt sich eine Reihe ungeklärter Fragen, die für Kurz im Wahlkampf noch unangenehm werden dürften. Bislang schien seine Wiederwahl Ende September gesichert, die politischen Gegner wittern Morgenluft. So wollen Sozialdemokraten (SPÖ) und die wirtschaftsliberale Neos-Partei in einer parlamentarischen Anfrage wissen, welche Daten tatsächlich gelöscht wurden. Kurz und die ÖVP schweigen dazu beharrlich. Dass sich das merkwürdige Vorgehen als Dummheit erklären lässt, ist wenig glaubwürdig.

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