Kritikerin des Tschetschenien-Krieges Russische Journalistin in Moskau ermordet

Moskau (rpo). In Russland ist die regierungskritische Journalistin Anna Politkowskaja ermordet worden. Die mehrfach preisgekrönte Reporterin, die durch ihre kritische Berichterstattung über den Tschetschenienkrieg bekannt geworden war, wurde am Samstag erschossen im Foyer ihres Moskauer Wohnhauses aufgefunden.

Neben ihrer Leiche lagen eine Makarow-Pistole und vier Patronenhülsen. Anna Politkowskaja sei von drei Kugeln im Körper getroffen und damit niedergestreckt worden, der vierte Schuss sei ihr in den Kopf gefeuert worden, sagte ein Polizeisprecher nach einem Bericht des TV-Senders Rossija. Politkowskaja hatte sich mit ihrer Berichterstattung über Tschetschenien einen Namen gemacht und im Ausland etliche Preise gewonnen. Sie veröffentlichte auch mehrere Bücher, darunter "Tschetschenien - Die Wahrheit über den Krieg".

Die Leiche Politkowskajas wurde den Polizeiangaben zufolge von einer Nachbarin gefunden. Vize-Staatsanwalt Wjatscheslaw Rosinski sprach von Hinweisen auf einen "gezielten Mord", wollte sich aber nicht auf diese Interpretation festlegen. Politkowskaja arbeitete zuletzt für die Zeitschrift "Nowaja Gaseta". Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) erklärte, die Journalistin sei "wegen ihres Berufs ins Visier geraten".

Politkowskaja befasste sich immer wieder mit Gräueltaten tschetschenischer Aufständischer und russischer Sicherheitskräfte, aber auch mit Korruption in der russischen Armee. Damit stand sie in einem deutlichen Kontrast zu den meisten russischen Medien, die derart heikle Themen seit dem Amtsantritt von Präsident Wladimier Putin im Jahr 2000 zunehmend aussparten. "Es gab ständig das Gefühl, dass ihr etwas zustoßen würde", sagte Oleg Panfilow von der Vereinigung Journalismus in Extremsituationen. "Wenn Menschen mir die Frage stellten, ob es so etwas wie Aufrichtigkeit im russischen Journalismus gab, sagte ich: 'Ja - Anna Politkowskaja'."

Im Januar 2000 erhielt die Journalistin den Goldenen Preis der Russischen Journalisten-Union, im Februar 2003 den Preis Journalismus und Demokratie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Sie berichtete seit 1999 über den Konflikt in Tschetschenien. Unter anderem schrieb sie ein Buch über Präsident Wladimir Putin und dessen Vorgehen in der Kaukasusrepublik. Dabei dokumentierte sie zahlreiche Fälle von Misshandlung der Zivilbevölkerung durch Regierungssoldaten.

Im Oktober 2002 war sie eine von wenigen Personen, die während der Geiselnahme in einem Moskauer Theater das Gebäude betrat und versuchte, mit den tschetschenischen Extremisten zu verhandeln.

Nach einem Flug von Moskau nach Südrussland während der Geiselnahme in einer Schule in Beslan 2004 erkrankte sie schwer an Vergiftungssymptomen. An Bord hatte sie Tee getrunken. Kollegen vermuteten damals, dass sie umgebracht werden sollte.

Im Januar 2005 wurde sie in Schweden gemeinsam mit zwei weiteren russischen Menschenrechtsaktivisten für ihren Einsatz zur Förderung der Demokratie in Tschetschenien mit dem Olof-Palme-Preis ausgezeichnet.

"Wann immer die Frage aufkam, ob es in Russland ehrlichen Journalismus gibt, wurde fast jedes Mal zuerst der Name Politkowskaja genannt", sagte Oleg Panfilow, Direktor des Zentrums für Journalismus in Extremsituationen mit Sitz in Moskau. Politkowskaja habe häufig Drohungen erhalten. Vor einigen Monaten hätten unbekannte Angreifer erfolglos versucht, in ein Auto einzudringen, in dem ihre Tochter Vera am Steuer saß. 2001 flüchtete Politkowskaja für mehrere Monate nach Wien, weil sie per E-Mail Drohungen erhalten hatte, wonach ein russischer Polizist sich an ihr rächen wolle. Sie hatte ihn beschuldigt, Gräueltaten gegen Zivilpersonen begangen zu haben. Der Polizist wurde 2002 festgenommen, ein Jahr darauf wurde der Fall eingestellt.

(afp2)
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