Autoren melden sich zu Wort Was Künstler an Corona umtreibt

Meinung | Düsseldorf · Die Autoren Juli Zeh, Thea Dorn und Daniel Kehlmann haben sich zur aktuellen Pandemiepolitik geäußert. Sie treibt Sorge um Demokratie und Freiheitsrechte – konkrete Probleme eher weniger.

 Ausgangsbeschränkungen in Deutschand – nach 22 Uhr haben Katzen die Straßen für sich.

Ausgangsbeschränkungen in Deutschand – nach 22 Uhr haben Katzen die Straßen für sich.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Es rumort in der Kultur: Nach der Aufregung um die sarkastischen Videobotschaften bekannter Schauspieler haben sich jetzt drei   Schriftsteller zu Wort gemeldet, um auf ganz anderem analytischen Niveau den aktuellen Umgang  der Politik mit der Pandemie zu kritisieren. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ bemängeln Juli Zeh, Thea Dorn und Daniel Kehlmann,  die Politik sei verantwortungsscheu und habe zu wenig Vertrauen in die Fähigkeit der Demokratie, auch mit großen Krisen fertig zu werden. Stattdessen verschanzten sich die Verantwortlichen hinter wissenschaftlichen Empfehlungen und pflegten eine Rhetorik des Ausnahmezustands, um Eingriffe in die Bürgerrechte als alternativlos erscheinen zu lassen.  Über den richtigen Umgang mit der Pandemie und den Ausgleich all der unterschiedlichen Interessen müsse aber  gestritten werden. Das sei die Stärke der Demokratie. Und sie könne es auch mit Corona aufnehmen.

Diese Einwürfe klingen erst einmal gut, weil sie die Kraft der Demokratie und die Bedeutung bürgerlicher Freiheitsrechte beschwören. Weil alle, nun wirklich alle, den anhaltenden Lockdown satt haben. Und weil die Politik ja tatsächlich immer müder und entschlussunwilliger erscheint.  Sie schiebt eine notwendige Entscheidung nach der anderen auf, zu wenig Impfstoff, zu wenig Tests, zu wenig Mut, mit einem harten, dafür kurzen Lockdown die Inzidenzen ins Kurvental zu zwingen. Es erscheint überfällig, dass Künstler zur aktuellen Pandemiepolitik das Wort ergreifen und nicht nur vermeintlich ironische Filmchen drehen oder für die Öffnung von Kinos, Konzertsälen, Buchläden eintreten, sondern auch intellektuell sezieren, was im Lande  vor sich geht.

Doch dabei interessieren sie die konkreten Probleme vieler Bürger wenig. Die Leute sind coronamüde, warten auf Impfstoff und fühlen sich schlecht regiert, doch die Autoren plagt vor allem die Sorge um die bürgerliche Freiheit. Wenn  Daniel Kehlmann etwa  den Kampf gegen Corona mit dem Krieg gegen den Terror der  USA nach den Anschlägen von 9/11 vergleicht und erklärt, die Logik des Ausnahmezustands dränge von sich aus auf Verschärfung.  Oder wenn Thea Dorn der Politik vorwirft, es ginge ihr nur um „Todesverhinderung“ und Teilen der Gesellschaft sei es offenbar lieber, sich Gängelungen verordnen zu lassen, als heikle Diskurse anzupacken.

 Die Probleme der deutschen Pandemiepolitik liegen aber weniger in mangelnder Diskursbereitschaft oder dem heimlichen Aushöhlen der Demokratie, sie sind viel konkreter. Sie haben  mit Zögerlichkeit im politischen Handeln zu tun, mit enormen Schwachstellen in der Digitalisierung von Schule und Verwaltung, mit falsch verstandenem Föderalismus und  Politikern im Wahlkampfmodus. Aber eher nicht damit, dass es zu wenig Skepsis gegenüber den Modellrechnungen von Virologen gäbe oder die Leute kein ausreichendes Problembewusstsein bezüglich der Eingriffe in ihre Bürgerrechte besäßen. Es schwingt in den Thesen der Schriftsteller  auch mit, es könne eine Pandemiepolitik ohne Freiheitseingriffe geben. Eine verlockende Vorstellung, doch wäre das erst einmal zu belegen. Der Verweis auf Schweden im Gespräch der Autoren ist angesichts der Probleme dort jedenfalls zu mager.

Juli Zeh und Thea Dorn haben sich auch in ihren jüngsten Romanen  mit deutscher Corona-Politik beschäftigt. Juli Zeh erzählt in „Über Menschen“ von einer Frau, die unter anderem deswegen von Berlin aufs Land flüchtet, weil ihr Freund, ein freier Journalist, zum Corona-Maßnahmen-Fanatiker mutiert, überall nur noch Infektionsrisiken wittert und von seiner Freundin Panik-Gefolgschaft einfordert. Thea Dorn lässt in „Trost“ eine Ich-Erzählerin Briefe schreiben, deren lebenshungrige Mutter an Covid gestorben ist. Die hinterbliebene Tochter hadert nicht so sehr mit dem Schicksal, dass ihre Familie von der Pandemie schwer getroffen wurde – die hedonistische Mutter hat durch eine Reise ins Hochrisikogebiet Italien ihre Ansteckung fast heraufbeschworen. Vielmehr wettert die Ich-Erzählerin wortreich gegen die Zumutungen der Corona-Maßnahmen. Etwa, wenn eine Tochter mit einer anständigen Beerdigung von der Mutter Abschied nehmen will.

 Doch wo sind eigentlich die Menschen, die sich vermeintlich bereitwillig  Corona-Maßnahmen unterwerfen und angeblich zu wenig kapieren, dass da gerade ihr freiheitliches politisches System ausverkauft wird? Wenn in Umfragen Bürger zu Protokoll geben, sie seien für entschiedenere Lockdown-Regeln, dann doch wohl nicht aus Lust am Untertanentum, sondern im Gegenteil, damit der ganze Wahnsinn möglichst bald ein Ende nimmt. Und bis dahin möglichst wenig Menschen sterben.  Ein vertretbares Interesse in diesen Zeiten.

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