Uni Bonn feiert zehn Jahre Poetikdozentur Poetik für die Praxis

Die Thomas-Kling-Poetikdozentur an der Uni Bonn feiert ihr zehnjähriges Jubiläum. In diesem Jahr können die Studierenden an einem Seminar der Schriftstellerin Ulrike Almut Sandig teilnehmen.

 Ulrike Almut Sandig ist die erste Poetik-Dozentin an der Universität Bonn.

Ulrike Almut Sandig ist die erste Poetik-Dozentin an der Universität Bonn.

Foto: Villa Concordia/Michael Aust

Einmal im Jahr kommen die Germanistik- und Komparatistik-Studierenden der Uni Bonn in einen ganz besonderen Genuss: Sie können ein Seminar bei einem Dichter oder einer Dichterin belegen und dabei auch das eigene Schreiben weiterentwickeln. In diesem Jahr ist Ulrike Almut Sandig im Rahmen der Thomas-Kling-Poetikdozentur zu Gast an der Uni. Die 42-Jährige Schriftstellerin stammt aus Sachsen, lebt mit ihrer Familie in Berlin und veröffentlicht Lyrik ebenso wie Prosa. Ulrike Almut Sandig ist keine Schriftstellerin, die allein in der Stille und Abgeschiedenheit ihre Texte schreibt, sondern immer schon die unmittelbare lebendige Auseinandersetzung mit ihrem Publikum gesucht hat. Dabei entsteht über die Modulation ihrer Stimme und die Musikalität der Texte performative Klangkunst, wobei sich die Kunst jedoch nicht im Klang erschöpft: Ihr Schaffen erstreckt sich über ein breites Themenspektrum, in dem Zeitgeschehen und Politik ebenso Raum finden wie Natur und Kunst. Dabei verschiebt und überschreitet sie Grenzen. Sandig erhielt zahlreiche Preise, darunter den Leonce-und-Lena-Preis (2009), den Wilhelm-Lehmann-Preis (2018), den Roswitha-Preis (2020) und zuletzt den Erich-Loest-Preis (2021).

Ulrike Almut Sandig ist die zehnte Schriftstellerin, die an die Universität Bonn kommt und am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft lehrt. „Die Professur ist mit einem Seminar im regulären Lehrbetrieb verankert“, sagt Kerstin Stüssel, Professorin für Neuere Deutsche Literatur der Uni Bonn. Sie gehört zu dem Gremium, das Jahr für Jahr Poetinnen und Poeten für die Professur auswählt. „Das heißt, in dem Seminar können Scheine gemacht werden.“ Dabei sind die Themen der Seminare völlig verschieden und werden von den Poeten frei gewählt. „Barbara Köhler beispielsweise hat mit den Studierenden die Sprachwelt der Odyssee erkundet und ‚weitergeschrieben‘, bei Ulrike Almut Sandig steht nun die Sichtbarkeit und Hörbarkeit von Lyrik im öffentlichen Raum im Mittelpunkt.“

Die Auswahl der Studierenden, die an dem Seminar der Poetikdozenten teilnehmen dürfen, ist quasi handverlesen. „Wir begrenzen die Teilnehmerzahl meistens auf etwa 15 Personen“, sagt Kerstin Stüssel. „Die Studierenden müssen sich mit einem Motivationsschreiben bewerben, manchmal wird von den Dozentinnen und Dozenten auch eine Arbeitsprobe verlangt. Wir wollen natürlich sichergehen, dass die Studierenden mit voller Energie und Elan dabei sind. Bei diesem Seminar ist kreative Mitarbeit erwünscht, die Studierenden sollten sich intensiv beteiligen.“ Die Seminare finden entweder wöchentlich, oder auch als Blockveranstaltung statt, je nachdem, woher die Dozenten kommen. „In diesem Jahr ist natürlich alles digital, aufgeteilt in drei Blöcke“, so Stüssel. Normalerweise besteht die Poetikdozentur aus drei Teilen: einer großen Antrittsvorlesung, dem Seminar für die Studierenden, zu denen auch Gäste der Poetikdozenten eingeladen werden, und Veranstaltungen mit dem Literaturhaus Bonn, das Lesungen mit den Lyrikern realisiert.

Dass im regulären Seminar auch eigene Lyrik verfasst wird, ist ein Alleinstellungsmerkmal der Bonner Poetikdozentur. „Natürlich haben wir in den germanistischen Einführungsseminaren aber auch in der Komparatistik immer mal wieder das Thema Lyrik. Aber dort werden keine eigenen Texte produziert und reflektiert. Die eigene literarische Produktion gemeinsam mit bedeutenden zeitgenössischen Dichterinnen und Dichtern ist eine einmalige Chance und ein Privileg für unsere Studierenden“, sagt Kerstin Stüssel. Am Ende des Semesters müssen die Studierenden auch eine schriftliche Prüfungsleistung erbringen, die die Poetikdozentinnen und -dozenten bewerten.

Die Thomas-Kling-Poetikdozentur wurde im Jahr 2011 von der Kunststiftung NRW geschaffen und wird in diesem Jahr zum zehnten Mal besetzt. Sie ist nach dem 2005 verstorbenen Lyriker und Essayisten Thomas Kling (*1957) benannt, der zehn Jahre auf der Raketenstation der Stiftung Insel Hombroich lebte und dessen Sprachkunst neue Maßstäbe setzte. Im Rahmen der Thomas-Kling-Poetikdozentur stattet die Kunststiftung NRW namhafte Autoren und Autorinnen und mit einem Stipendium aus, das ihnen eigene Lehrveranstaltungen ermöglicht – und den Studierenden damit einen neuen Blick auf ihren Forschungsgegenstand. Die Auswahl treffen Vertreterinnen und Vertreter der Stiftung und der Universität Bonn. Die Universität Bonn gestaltet und finanziert die feierliche Antrittsvorlesung, organisiert Lehre und Prüfungen; weiterhin stellt sie Mittel für die Auftritte von Gästen der Poetikdozentinnen und -dozenten zur Verfügung. Das Literaturhaus Bonn veranstaltet ein Begleitprogramm zur Dozentur. Bisherige Poetikdozentinnen und -dozenten waren Stefan Weidner, Barbara Köhler, Oswald Egger, Norbert Scheuer, Marion Poschmann, Esther Kinsky, Christoph Peters, Anja Utler, Marcel Beyer.

Die Generalsekretärin der Kunststiftung NRW, Andrea Firmenich, sieht in der Poetikdozentur einen erfolgreichen Baustein des Förderengagements der Kunststiftung: „Mit dieser Auszeichnung ist es gelungen, herausragenden deutschsprachigen Autoren und Autorinnen und Übersetzerinnen und Übersetzern die Möglichkeit zu verschaffen, im direkten Austausch mit jungen Studierenden ein Semester lang konzentriert ihre eigenen poetologischen Positionen zu reflektieren und zu erproben. Den Studierenden öffnet sich damit ein Raum für freiere Denkbewegungen und ästhetische Erfahrungen außerhalb der strengen akademischen Lehre – ganz im Sinne des Dichters Thomas Kling.“

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