Brasiliens Präsident Bolsonaro und das „Grippchen“

Brasília · Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat sich mit dem Coronavirus infiziert, das er stets intensiv kleingeredet hatte. Umgehend stürzt er sich in die nächste Propaganda-Schlacht.

 Brasiliens Präsident trägt nur gelegentlich eine Maske.

Brasiliens Präsident trägt nur gelegentlich eine Maske.

Foto: AP/Eraldo Peres

Es sind skurrile Bilder, die Europa aus Brasilien erreichen. Ein mit dem Coronavirus infizierter Präsident, der Interviews gibt und nicht einmal eine Armlänge Abstand hält. Der offenbar auf Bitten der Reporter einige Schritte zurückgeht und sogar die Maske abnimmt. TV-Journalisten, die ihm ganz nahe kommen, und die erst gar nicht erst versuchen, mit Mikrofonstangen die nötige Distanz zu halten, weil sie offenbar keine dabei haben.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat es wieder einmal geschafft, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu ziehen. Wenn denn die Angaben Bolsonaros über die Ergebnisse der Corona-Tests richtig sind – und daran zweifeln nicht wenige Brasilianer –, dann stehen ihm nun einige ungewisse Tage bevor. Bricht die Infektion heftig aus, oder verursacht sie wie bei vielen Millionen anderen Menschen auch nur leichte Symptome? Bolsonaro gehört mit seinen 65 Jahren zur Risikogruppe, hat nach einem Messerattentat eines geistig Verwirrten im Wahlkampf 2018 immer wieder gesundheitliche Probleme. Unter anderem litt er an einer Lungenentzündung. Trotzdem spielt er den Unbezwingbaren, verweist auf die Historie eines Athleten und Militärs; durch jahrelanges Training sei er besonders robust.

Bolsonaro hat seine Infektion bereits jetzt politisch instrumentalisiert und ideologisiert. Es gehe ihm schon viel besser als am Tag zuvor, sagte Bolsonaro gegenüber drei Fernsehjournalisten in Brasília. Alles rund um die Bekanntgabe dieser Infektion ist durchchoreographiert. Die Botschaft: Seine Lesart in der Corona-Krise ist richtig. Alles nicht so schlimm, alles nicht so dramatisch. Jetzt setzt er auf das Malariamittel Hydroxychloroquin, dessen Wirkung umstritten ist. Wird er die Infektion unbeschadet überstehen, wird er das als Beweis für seine Sichtweise vermarkten. Ein Präsident als Proband für eine umstrittene medizinische Behandlung. Auch das ist Brasilien 2020.

Der Präsident braucht dringend ein politisches Erfolgserlebnis, denn seine vor der Corona-Krise durchaus respektablen Umfragewerte sind inzwischen deutlich gefallen. Es gibt große Probleme damit, das verwaiste Bildungsministerium zu besetzen, die Kritik an der Amazonas-Abholzungspolitik nimmt national wie international zu. Selbst sein international engster Verbündeter, US-Präsident Donald Trump, brandmarkte Brasilien zuletzt als Problemland. Eine schnelle Heilung des Patienten Bolsonaro nach eigenem Rezept käme da gerade recht, um das Ruder herumzureißen. Von Beginn an gab Bolsonaro in der Corona-Krise ein schwaches Bild ab, verharmloste die sich abzeichnende Pandemie als „Grippchen“, wehrte sich gegen die Maskenpflicht und die von den lokalen Gouverneuren und Bürgermeistern verhängten Ausgangsbeschränkungen und nahm – ohne Schutz – an Demonstrationen seiner Anhänger teil.

Vom ersten Tag der Pandemie bis heute hält Bolsonaro die Pandemie für nicht so schwerwiegend – trotz inzwischen mehr als 66.000 Toten und 1,6 Millionen infizierten Menschen. Allerdings: In der weltweiten Statistik der Johns-Hopkins-Universität, die die Todesfälle pro 100.000 Einwohner zählt, liegt Brasilien (31,26) hinter Chile (34,09) und Peru (33,69) auf Rang 14. In den Top Ten dominieren fast ausnahmslos europäische Länder, aus denen die Kritik an Brasilien besonders laut ist. Deswegen fühlt sich Bolsonaro vom Rest der Welt unfair behandelt.

Doch die Prognosen sind schlecht: Bis zu 160.000 Tote könnte die Pandemie im Land fordern, haben Wissenschaftler vor kurzem errechnet. Allein am Montag dieser Woche gab es 48.000 neue Infektionen. In der Amazonas-Region bangen die indigenen Völker vor einer noch größeren Infektionswelle. Längst halten sich die Brasilianer – Gegner wie Kritiker des Präsidenten – nicht mehr an die Empfehlungen. Es gab Tausende Bars, die offiziell geschlossen, dann aber über Hintereingänge zu erreichen waren. Seit der Wiedereröffnung von Geschäften, Clubs und Restaurants tummeln sich die Menschen wieder auf den Straßen, ohne die empfohlenen Abstandsregeln einzuhalten. Wie viele das tun, weil der Präsident diesen lockeren Stil vorlebt, weiß niemand.

Inzwischen versuchen die brasilianischen Medien akribisch nachzuvollziehen, mit wem sich der Präsident in den vergangenen Tagen so alles getroffen hat und kommen auf bis zu 150 persönliche Kontakte: Treffen aus Anlass des amerikanischen Unabhängigkeitstages mit dem Botschafter, mit Vertretern der Fußballvereine, ein Besuch in einer von einem heftigen Sturm heimgesuchten Region des Landes. Minister aus dem Kabinett lassen sich testen, im schlimmsten Fall droht dem Regierungsapparat in Brasilia eine Quarantäne.

Die in den vergangenen Wochen im Streit ausgeschiedenen Gesundheitsminister Luiz Mandetta und Nelson Teich, die Bolsonaros lockeren Corona-Kurs nicht mittragen wollten und deshalb aus dem Amt schieden, informieren nun die Bevölkerung in den Medien über die Risiken, die Schutzmaßnahmen zu beachten. Ihr Präsident tut es nämlich immer noch nicht. 

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