Nach Anschlag auf Schiiten in Kabul Tarana - ein afghanisches Mädchen überlebt

Kabul · Für die schiitische Feiertagsprozession am 6. Dezember in Kabul hatte die zwölfjährige Tarana das eigens für sie geschneiderte grüne Kleid angezogen. Dann sprengte sich ein Selbstmordattentäter inmitten der Pilger in die Luft. Das Foto der unter Schock stehenden und schreienden Tarana ging um die Welt.

Tarana Akbari - die afghanische Überlebende
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Eigentlich wollten die Pilger das Aschura-Fest begehen. Doch der Anschlag veränderte alles. Mehr als 70 Menschen kamen dabei ums Leben. Viele von ihnen hat Tarana gesehen, als sie unmittelbar nach dem Anschlag inmitten eines Platzes steht und nur noch schreit. Rings um sie herum liegen Tote, Verletzte, darunter viele Kinder.

Auch Taranas siebenjähriger Bruder Schoaib stirbt bei dem Anschlag. Insgesamt sieben Mitglieder von Taranas Familie wurden getötet. Zwei ihrer Schwestern, die 15-jährige Sunita und die vierjährige Sweeta, wurden schwer verletzt und befinden sich noch immer im Krankenhaus. Tarana erlitt Verletzungen am Bein, kehrte aber nach drei Tagen aus der Klinik nach Hause zurück.

Sie will Lehrerin werden

Die Familie lebt zu siebt in zwei Zimmern in einem bescheidenen Haus aus Lehmziegeln im Armenviertel Murad Chani im Zentrum der afghanischen Hauptstadt, nur fünf Minuten zu Fuß vom Ort des blutigen Anschlags entfernt. Tarana träumt davon, später einmal Lehrerin zu werden - in einem Land, in dem die zwischen 1996 und 2001 regierenden Taliban Frauen verboten zu arbeiten und Mädchen in die Schule zu gehen.

Sie spielt gerne Verstecken und Murmeln, aber im Moment kauert sie - in eine dicke Wolldecke eingewickelt - in einer Ecke des nur spärlich mit einem Elektrogerät beheizten Raums, den Blick vage nach oben gerichtet. Ihre Beine sind immer noch bandagiert, und beim Gehen hinkt sie. An ihre Freude am Morgen des Aschura-Tags erinnert sich Tarana noch genau. Doch mit der Bombe kam der Albtraum. "Als ich aufstehen konnte, lagen alle um mich herum am Boden, alle voller Blut", sagt sie.

Tot waren außer ihrem kleinen Bruder ihr neunjähriger Cousin ersten Grades, Abbas, zwei weitere Cousins, die drei und vier Jahre alten Brüder Hassan und Sohail, ihre beiden Großtanten, die 65-jährige Nasreen und die 45-jährige Malalai, sowie deren 30-jährige Tochter Nasira.

Taranas Vater, der 37-jährige Ahmad Schah Akbari, der auf der Straße Obst und Gemüse verkauft, befand sich nicht am Anschlagsort, aber ihre Mutter zog sich Quetschungen zu und hat noch immer Metallsplitter in Hals und Arm. Ihr Gram lässt die 30-jährige, ganz in Schwarz gekleidete Bibi Hava wesentlich älter erscheinen als sie ist. Die Erinnerung an ihren kleinen Sohn lässt sie immer wieder aufschluchzen.

Einst nach Pakistan geflohen

1992, auf dem Höhepunkt des afghanischen Bürgerkriegs, war die Familie ins pakistanische Asyl geflohen. Nach dem Ende der Taliban-Herrschaft kehrte sie 2002 voller Hoffnung nach Afghanistan zurück. Die Familienmitglieder halten wie Pech und Schwefel zusammen. Während Tarana und ihre Mutter vom fürchterlichen 6. Dezember und den zerfetzten Menschen erzählen, kommen Tanten, Onkel und Cousins aus umliegenden Häusern hinzu. Sie hören zu, spenden Trost, bringen Tee und Essen.

Unter den Besuchern ist auch Taranas 27-jähriger Onkel, Feros Chan Akbara, der Vater des getöteten Abbas. Der begeisterte Bodybuilder küsst ein Foto seines Sohns und erzählt, wie nah beide sich waren und wie gern er Abbas zum Fitnessstudio mitnahm. "Jetzt ist nichts mehr wichtig. Am liebsten wäre es mir, ein anderer Selbstmordattentäter würde meinem Leben ein Ende setzen", fügt er hinzu.

Der 27-jährige Koch Sabi Asimi, Sohn von Malalai und Bruder von Nasira, sinnt dagegen auf Rache. "Wenn ich die finden sollte, die hinter dem Ganzen stecken, würde ich sie in Stücke schneiden wie Tiere", sagt er. Seine im achten Monat schwangere Frau wurde schwer verletzt, aber das Baby in ihrem Bauch überlebte. Auch die vier Kinder des Paares wurden verletzt. "Wirkliche Muslime würden so etwas nicht tun, egal ob Sunniten oder Schiiten".

(AFP/das)
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