Puppentheater in Neuss Lust und Frust bei „Fifty Shades of Gretel“

Neuss · Das Puppenspiel für Erwachsene lockt hinter die Kulissen der Bühne. Die Handlung ist turbulent, es geht um Sex beim Puppenpersonal. Die Botschaft des Stücks ist so schlicht wie ein Puppenspiel nun mal sein soll: Schuster, bleib bei deinem Leisten.

Die Abendveranstaltung des Neusser Kulturgartens an der Rennbahn fand am heißen Samstagabend nicht im Freien sondern im Globe-Theater statt. Das überraschte manche Besucher, war aber der Technik für ein Puppenspiel geschuldet. Immerhin konnte man so mal wieder richtige Theaterluft schnuppern, natürlich streng auf Abstand. Und es gab sogar ein paar Häppchen Shakespeare. In dem Stück „Fifty Shades of Gretel – Hinter den Kulissen einer Puppenbühne“ träumt Seppl von einer Karriere als ernsthafter Darsteller. „Ich will auf die Burg“ ruft er gleich zu Beginn, meint damit das Wiener Burgtheater, um in der Folge ziemlich tapsig einige Verse des englischen Dramatikers zu deklamieren. Und Goethe gleich dazu.

 Das Puppentheaterstück „Fifty Shades of Gretel“ richtet sich an ein erwachsenes Publikum. Beim Titel standen die Bestseller der britischen Autorin E.L. James Pate.

Das Puppentheaterstück „Fifty Shades of Gretel“ richtet sich an ein erwachsenes Publikum. Beim Titel standen die Bestseller der britischen Autorin E.L. James Pate.

Foto: Dietmar Schörner

Zu erleben war also tatsächlich ein echtes Kasperletheater, allerdings „nur für Erwachsene“. Neben Seppl wurden Kasper, Gretel, der Räuber, das Krokodil, die Großmutter und der Teufel von den Puppenspielern Stella Jabben und Volker Schrills durch eine ziemlich turbulente Handlung geführt. Alles geschah auf der Hinterbühne, neudeutsch Backstage, die im Laufe des Abends dann zur „Hinternbühne“ werden sollte. Denn es ging um Sex beim Puppenpersonal, das sich mit den ewig gleichen Kindergeschichten zu Tode langweilt. Auf „Tri, Tra, Trullala“ hat absolut keiner mehr Lust. Die Lust wird dann aber zum Stichwort einer heftigen Puppenkontroverse, als Gretel aus dem Erotik-Bestseller „Fifty Shades of Grey“ vorliest.

Die blondzöpfige Gretel, von ihrem Freund Kasper wie eine graue Maus behandelt, stellt sich ein neues Puppenspiel vor, bei dem es wie im Roman unterhalb der Gürtellinie zur Sache geht. Wie aber soll das gehen, wenn bei Puppen immer nur der obere Körperteil zu sehen ist? Die Großmutter, seit mehreren Vorstellungen vergeblich auf der Suche nach ihrem Gebiss, missversteht den Buchtitel: „Da geht es doch bestimmt um Elefanten.“ Der Räuber meckert, weil ihm die ausbleibende Honorarzahlung viel wichtiger ist als irgendwelche Sexspiele. Als man ihm dann noch seine klassische Rolle wegnimmt und dem zukünftig als Schwuchtel-Räuber agierenden Seppel übertragen will, ist die Stimmung im Puppen-Ensemble auf dem Nullpunkt. „Sein oder nicht sein“, kommentiert feierlich der Neu-Räuber.

Man erkennt: Der Titel des 100-Minuten-Spiels mit einigen Längen ist ein „Teaser“, ein erotischer Lockbotenstoff für erwachsene Zuschauer. Vor knapp zehn Jahren dominierte die „Fifty-Shades“-Romantrilogie der englischen Autorin E.L.James innerhalb von Tagen alle Bestsellerlisten. Weltweit wurden mehr als 100 Millionen Exemplare verkauft, davon allein in Deutschland über sechs Millionen. „Auch schlechter Sex verkauft sich gut“, hieß es dazu irritiert von einer Rezensentin, die nicht verstehen konnte, warum „erbärmliche Handlungsmuster und eine ebenso erbärmliche Sprache“ bei den meist weiblichen Lesern derart gut ankamen. Der englische Titel ist bekanntlich ein Wortspiel und bedeutet sowohl „50 Grautöne“ als auch „50 Schattenseiten“ von Christian Grey, der männlichen Hauptfigur. Von Gretels Schattenseiten ist in dem Puppenspiel freilich nichts zu spüren.

Dafür aber nehmen die sadomasochistischen Praktiken des Romans im Laufe der Handlung einen immer größeren Raum ein. „BDSM“ wurde seit E.L.James vor allem über das Internet zum großen Stichwort. Das englische Akronym steht mit den ersten beiden Buchstaben für „Dominanz und Unterwerfung“, der Rest für Lustschmerz und Fesselspiele. René Linke, der für das Theater Blaues Haus den Puppenspiel-Text geschrieben und auch Regie geführt hat, lässt in einer Folterkammer den Teufel mit viel Rauch und Donner als Domina auftreten. Dort entdeckt Gretel, wie bieder ihre erotischen Vorlieben in der Puppenwirklichkeit waren. Kasper hingegen versucht seine männliche Lust mit Hilfe einer Sexpuppe hervor zu kitzeln. Jetzt blickt man auf die „Hinternbühne“, doch da lockt kein „Brazilian Butt“.
Die Botschaft des Stücks ist so schlicht wie ein Puppenspiel nun mal sein soll: Schuster, bleib bei deinem Leisten. Experimente sind meist zum Scheitern verurteilt.

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