Mönchengladbach Perfekter "Hochstapler"

Mönchengladbach · Generalintendant Michael Grosse begeistert als Schauspieler: "Ein Hochstapler erzählt" nach Thomas Manns Roman "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" findet im Theater-Studio ungeteilten Beifall.

 Nur zwei von ganz vielen Gesichtern, die Michael Grosse bei seinem Thomas-Mann-Abend dem Publikum zeigte. Das lebhafte Ausdrucksspiel des Schauspielers Grosse verblüffte viele im Publikum.

Nur zwei von ganz vielen Gesichtern, die Michael Grosse bei seinem Thomas-Mann-Abend dem Publikum zeigte. Das lebhafte Ausdrucksspiel des Schauspielers Grosse verblüffte viele im Publikum.

Foto: Matthias Stutte

Alle Achtung. Unser Theater darf sich eines Intendanten glücklich schätzen, der weiß, wie's geht: das Auf-der-Bühne-Stehen, im Rampenlicht, allein. Nur Körper, Stimme, Aura. Ja, Michael Grosse beherrscht das Handwerkszeug des Schauspielers — meisterlich, wie man nach der Premiere von "Ein Hochstapler erzählt" weiß.

Damit war nicht unbedingt zu rechnen. Thomas Mann hat in seinem parodistischen Entwicklungsroman die so sympathische wie anrüchige Figur des Hochstaplers Felix Krull als Prototyp des Bürgers ohne Substanz in Literatur gegossen. Grosse schlüpft nonchalant im Halbdunkel auf die Bühne und verkündet, es gebe eigentlich gar nichts zu erzählen. Dabei ergreift seine Rechte die Lehne eines bereitstehenden Chippendale-Imitat-Stuhles mit Korbgeflecht, leutselig schweift sein Blick durchs Studio-Publikum, das einen gesetzten Herrn mit untadeligem Äußeren gewahr wird. Nur sein etwas zu akkurat und einen Knopf zu weit geöffnetes sanftgrünes Hemd unter der dezenten Weste zeigt den Menschenkundigen und auch Selbstverliebten der Rolle an. Wir erleben Thomas Mann. Seinen artifiziellen Satzbau, die feine Ironie, Lust am zu Sprache geronnenen Gedanken.

Keine fünf Minuten, und das Publikum ist gefangen von dem Mikrokosmos, den Michael Grosse mit sprachlicher Virtuosität, Intelligenz und äußerst delikaten schauspielerischen Mitteln im schwarzen Raum zwischen Zuschauerreihen und drei krummbeinigen Stühlen entstehen lässt. Grosse ist jener Krull, jene Existenz des mehr Schein-als-Sein, dem das väterliche Vorbild zugleich Warnung sein durfte: jenes dicklichen Herrn also, der genüsslich seinen Bauch mit den Fingerspitzen liebkost, während er minderwertigen Schaumwein in blendend prächtige Flaschen der Marke "Loreley extra Cuvée" füllen lässt.

Der dem schönen Geschlecht wie dem Alkohol verfallen seine Firma dann doch in den Bankrott und sich selbst in den Selbstmord treibt. Mit sichtbar fasziniertem Schauern erinnert sich Grosse/Krull der Begegnung mit jenem blendenden Operetten-Tenor, dem Schwarm aller Damen, der nach der Vorstellung sich in der Garderobe vom perlmutternen Falter zum pickeligen, aufgeschwemmten Liederjan entpuppt.

Schließlich gerät die berühmte Musterungsszene, jenes entlarvend-komische Zwiegespräch zwischen dem eine Epilepsie markierenden Jüngling und dem knarzenden Stabsarzt zum Höhepunkt des einstündigen Soloabends, in dem sich Grosse als Meister der Imitation, des Rollenwechsels und der Parodie zeigt. Das Publikum ist baff, begeistert, amüsiert und entbietet mit reichlich Applaus dem Intendanten als Schauspieler seine Hochachtung.

(ark)
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