Mönchengladbach Der Padre der Straßenkinder

Mönchengladbach · Für gut 6000 Straßenkinder in der bolivianischen Hauptstadt La Paz ist Josef Neuenhofer ein Helfer in der Not. Der Pater aus Eicken hat ein Hilfswerk aufgebaut, das auf Spenden angewiesen ist. Von seiner Arbeit erzählte der Borussen-Fan der Rheinischen Post bei einer kurzen Visite im Borussia-Park.

 Pater Josef Neuenhofer (oben) besuchte am Samstag das Borussia-Stadion. Und schaute sich das Spiel gegen Hannover 96 an – auf der Tribüne (Mitte), gleich neben Stephan Schippers, Siegfried Söllner, Rolf Königs und Rainer Bonhof.

Pater Josef Neuenhofer (oben) besuchte am Samstag das Borussia-Stadion. Und schaute sich das Spiel gegen Hannover 96 an – auf der Tribüne (Mitte), gleich neben Stephan Schippers, Siegfried Söllner, Rolf Königs und Rainer Bonhof.

Foto: Wiechmann

Am Donnerstag kamen Sie aus Bolivien nach Deutschland. Freitag saßen Sie im TV-Studio und wurden von Frank Elstner interviewt. Samstag sind Sie in Mönchengladbach im Borussia-Park, abends weiter nach Hamburg und dann wieder ins Flugzeug — warum tun Sie sich mit 73 Jahren diese Strapazen noch an?

Pater Neuenhofer Ich muss an die Zukunft der Kinder denken, die unser Hilfswerk in Bolivien betreut. Ich habe vor einigen Jahren die Stiftung Arco Iris gegründet, deren Erträge in die Arbeit in Bolivien fließen sollen. Diese Stiftung muss ich mit Geld versorgen.

Die TV-Sendung hilft dabei?

Neuenhofer Ich war schon vor ein paar Jahren in Frank Elstners Sendung und anschließend gab es einen Geldregen aus Spenden. Ich hoffe, dass ist auch diesmal so.

Ihre Heimatstadt Mönchengladbach wollten Sie auch wiedersehen?

Neuenhofer Ich bin mit Leib und Seele Borussen-Fan. Ich bin an der Bökelstraße aufgewachsen, also direkt am Bökelberg. Selbst die Elisabeth-Kirche, wo ich Meßdiener war, lag nur hundert Meter vom Stadion entfernt.

Was hat Sie bewogen, nach Südamerika zu gehen? Sie hätten doch auch Pfarrer in Deutschland bleiben können — das wäre wahrscheinlich bequemer gewesen.

Neuenhofer Ich wurde vor 30 Jahren beim katholischen Hilfswerk Adveniat in die Kommission für Peru berufen. Einmal im Jahr fuhr ich in meinem Urlaub nach Peru, um dort Projekte zu begutachten. Dort habe ich die südamerikanische Kirche kennen und lieben gelernt. Die Kirche dort ist arm, aber den Menschen sehr viel näher als in Deutschland. Auch den Zukurzgekommenen, den Armen, Kranken, den Strafgefangenen, den alleinstehenden Müttern. Diese soziale Dimension der Kirche liegt mir sehr am Herzen.

Dann sind Sie also einfach in Südamerika geblieben?

Neuenhofer Nein, ich habe zunächst in Deutschland meinen Bischof gefragt: Darf ich nach Südamerika? Doch er sagte zuerst immer: Nein! An meinem 54. Geburtstag rief mich der Bischof an, gratulierte und fragte, ob ich einen Wunsch hätte. Ich hätte an dieser Stelle sagen sollen, ein Buch oder eine Schallplatte. Stattdessen habe ich gesagt, ich möchte nach Südamerika! Wenn ich noch lange warte, bin ich zu alt, mit 70 Jahren kann ich das nicht mehr. Na ja, ich habe ein bisschen Dampf abgelassen. Kurz darauf durfte ich nach Südamerika — erst mal für drei Jahre, hieß es.

Es scheint die richtige Entscheidung gewesen zu sein.

Neuenhofer Ich habe in Bolivien mein Glück gefunden. Ich wollte mein Leben mit einer einfachen Gemeinde teilen. Bekommen habe ich eine Pfarre mit 40 000 Einwohnern in einem Vorort von La Paz. Dort gab es kein Pfarrhaus, keine Mitarbeiter, kein Büro. Es hieß erst mal: Guck, dass Du einen Platz findest, wo Du übernachten kannst. Dann sagte mir der Bischof dort, ich solle mich der Straßenkinder annehmen. Ich hatte zuerst Bedenken, weil ich mit Sprache noch nicht so gut zurechtkam und weil ich die Arbeit in der Pfarre gründlich erledigen und da nicht wurschteln wollte. Aber dann hat der Bischof gesagt: Du bekommst einen jüngeren Mitbruder. Also konnte ich mich der Straßenkinder annehmen. Das mache ich jetzt seit 17 Jahren, und inzwischen betreuen wir 6000 Kinder.

Dass Straßenkinder hungern, obdachlos sind und keine Bildung erhalten, können sich Menschen hier in Deutschland vorstellen. Was können Sie darüber hinaus zur Situation der Kinder sagen?

Neuenhofer Die Kinder haben schwere seelische Wunden, weil die meisten nie eine sichere und liebevolle Beziehung zu Mutter oder Vater kennengelernt haben. Das Leben auf der Straße hat sie gelehrt zu lügen. Viele stehlen. In Bolivien werden sie "Wegwerfkinder" genannt, weil sie keiner haben will und sich keiner um sie kümmert. Jedes Jahr verschwinden etwa 15000 Kinder in Bolivien. Sie werden von Menschenhändlerbanden für drei bis sieben Dollar pro Kind ins Ausland verkauft. Mädchen landen in der Prostitution, Jungen im Bergwerk.

Einen Zugang zu den Kindern zu finden, ist sicher schwierig.

Neuenhofer Nein, eigentlich nicht. Die Kinder kommen zu uns. Wir haben 23 Sozialarbeiter im Einsatz, und acht davon haben kein Büro und keinen Schreibtisch. Die sind auf der Straße, setzen sich in einen Hauseingang oder vor die Post, und die Kinder kommen zu ihnen. Die Kinder fragen, ob sie etwas zu essen bekommen können, oder sagen, dass sie Zahnschmerzen haben und Hilfe brauchen.

Sie haben Heime, in denen Kinder Obdach finden, bieten Ausbildung an, geben schwangeren Mädchen und Frauen Unterkunft und medizinische Versorgung . . .

Neuenhofer Ja, aber wir haben auch Projekte außerhalb von Häusern, zum Beispiel eine Schule auf Rädern. Denn Kinder, die nicht alphabetisiert werden, sind die Sklaven von morgen. Wir haben auch eine Sparkasse, die das Geld verwaltet, das Kinder auf der Straße verdienen, beispielsweise als Schuhputzer. Das ist ein pädagogisches Projekt. Die Kinder können lernen, Geld zu sparen, wenn sie mal einen halben Euro mehr verdient haben, als sie unbedingt brauchen. Statt sich dafür gleich ein Eis zu kaufen, können sie das Geld für etwas Teureres sparen, das sie gerne haben möchten — ein paar Schuhe zum Beispiel. Manche sagen auch: "Was ich haben will, klaue ich diesmal nicht. Ich kann es mir zum ersten Mal kaufen."

Wie viel Geld brauchen Sie, um ein Kind zu versorgen?

Neuenhofer Für ein Kind in einem unserer Heime brauche ich 1,20 Euro pro Tag.

Das heißt: Mit einer Spende von ungefähr 400 Euro kann man ein Kind ein ganzes Jahr unterstützen.

Neuenhofer Ja.

Weil es so selten ist, dass Sie in Ihrer Heimat sind, noch mal zurück zum Thema Mönchengladbach: Können Sie die Spiele von Borussia in La Paz eigentlich irgendwie verfolgen?

Neuenhofer Ich kann über Internet mit drei Minuten Verspätung den Spielstand verfolgen. Leider nur das Ergebnis, nicht wie die Tore gefallen sind. Das ist für mich als Fan ein bisschen traurig.

Und wie findet der Gladbacher vom Bökelberg das neue Stadion?

Neuenhofer Toll!

Haben Sie Fanartikel in Bolivien?

Neuenhofer Ich habe einen Wimpel, und in meinem Bad hängt ein Handtuch von Borussia.

Gibt es etwas aus Ihrer Heimat, das Sie in Bolivien vermissen?

Neuenhofer Ich vermisse drei Dinge: die deutsche Weihnacht, den deutschen Karneval und Borussia Mönchengladbach — sonst habe ich alles.

(RP)
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