Mönchengladbach Die Städtefusion: Mer trecke tesame

Mönchengladbach · Es war das Motto des Veilchendienstagszugs 1975 im neuen Mönchengladbach. Doch "Mer trecke tesame" stand auch als Parole für den 1. Januar 1975, an dem aus Alt-Gladbach, Rheydt und Wickrath eine neue Großstadt wurde. Es war ein schwerer und langer Weg, auf dem viele Ressentiments ausgeräumt werden mussten. Noch heute ist nicht alles perfekt.

 Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrags am 29. März 1974. Hinten, von links: Oberbürgeremeister Wilhelm Wachtendonk (Alt-Mönchengladbach), OB Fritz Rahmen (Rheydt), Bürgermeister Konrad Bäumer (Wickrath). Vorne: Oberstadtdirektor Dr. Wilhelm Elbers (Mönchengladbach), Oberstadtdirektor Helmut Freuen (Rheydt), Gemeindedirektor Wolfgang Krane (Wickrath) und Stadtkämmerer Manfred Raupach (Rheydt).

Unterzeichnung des Gebietsänderungsvertrags am 29. März 1974. Hinten, von links: Oberbürgeremeister Wilhelm Wachtendonk (Alt-Mönchengladbach), OB Fritz Rahmen (Rheydt), Bürgermeister Konrad Bäumer (Wickrath). Vorne: Oberstadtdirektor Dr. Wilhelm Elbers (Mönchengladbach), Oberstadtdirektor Helmut Freuen (Rheydt), Gemeindedirektor Wolfgang Krane (Wickrath) und Stadtkämmerer Manfred Raupach (Rheydt).

Foto: Stadtarchiv Mönchengladbach

Der kleine Hans Segschneider stand am 1. Januar 1933 an der Cecilienstraße unter all denen, die einen dicken Kalkstreifen quer über die Straße zogen, die jetzt wieder die Grenze zwischen den Städten markierte und – auf der Rheydter Seite – riefen: "Jlabbacher Aape stond an de Jrenz und jaape." Auf Hochdeutsch heißt das: Gladbacher Affen stehen an der Grenze und gaffen."

Die Rheydter Volksseele hatte ihren großen Tag an diesem 1. August 1933, an dem auf Betreiben des Reichsprograndaminister Joseph Göbbels die Zusammenlegung seiner Vaterstadt mit M. Gladbach in dem Jahr 1929 rückgängig gemacht wurde. "Ich war damals zwölf Jahre alt und habe einfach das mit gemacht und gerufen, was die Erwachsenen auf der Straße vormachten", erläutert Hans Segschneider heute, was er 1933 gemacht hat.

Vier Jahrzehnte später stand er wieder in vorderster Linie, aber nun mit einer völlig anderen Einstellung. "Ich war mit vollem Herzen und ganzem Verstand dabei, als wir das neue, große Mönchengladbach geschaffen haben. Und dazu stehe ich auch heute noch", sagt der ehemalige FDP-Kommunalpolitiker und Bürgermeister.

Am 29. März 1974 unterschrieben die Verwaltungschefs Dr. Wilhelm Elbers, Helmut Freuen und Wolfgang Krane im Rathaus Abtei den Gebietsänderungsvertrag zwischen den beiden Städten und der Gemeinde Wickrath, der von den Räten bestätigt wurde. Am 1. Januar 1975 trat das am 10. Juli 1974 beschlossene Neugliederungsgesetz des Landes NRW in Kraft. Aus Rheydt, Gladbach und Wickrath wurde an diesem Tag eine Stadt – das neue Mönchengladbach.

Der rechtliche Schlussstrich wurde erst fast 13 Jahre später gezogen, als ein auf Betreiben der 1981 gegründeten "Wählergemeinschaft Freies Rheydt/Freies Wickrath" hin von der Landesregierung in Düsseldorf in Auftrag gegebenes Gutachten die Rechtmäßigkeit der kommunalen Neugliederung in Mönchengladbach/Rheydt/Wickrath bestätigte.

Der "gefühlte" Schlussstrich aber ist auch jetzt, im Jahr 2011, noch nicht restlos gezogen. "Wir sind auch gut 36 Jahre nach der Kommunalreform keine echte Gesamtstadt", sagt Hans-Wilhelm Pesch, ehemaliger Ratsherr und Bürgermeister, CDU-Vorsitzender in Rheydt und Mönchengladbach, Bundestagsabgeordneter und einer der politischen Architekten der hiesigen Kommunalreform von 1974.

Wahrscheinlich waren es auch viel zu viele gegenseitige Vorurteile und Ressentiments zwischen Gladbach und Rheydt, die in Jahrhunderten gewachsen waren, um in wenigen Jahrzehnten restlos zu verschwinden. "Es war zu meiner Tanzstundenzeit, so mit etwa 16, 17 Jahren, als ich meiner Erinnerung nach zum ersten Mal mit dem Rad nach Rheydt fuhr" erinnert sich der gebürtiger Gladbacher Andreas Reiners. Er ist heute 53, das "Rheydter Erlebnis´" war also kurz vor der Kommunalreform. Und Reiners erinnert zum heutigen 50. Jahrestag des DDR-Mauerbaus an die im hiesigen Volksmund so genannte "unsichtbare Demarkationslinie", die auch noch Jahre nach der Neugliederung durch Ortsschilder am Übergang zwischen Theodor-Heuss- und Gartenstraße beim Polizeipräsidium die ehemalige Stadtgrenze markierte.

Als Gladbacher fuhr "man" (oder auch Frau) halt nicht nach Rheydt – und umgekehrt, allenfalls mal zum Sport. Der bekannte Heimatforscher Günter Erckens hat einmal erzählt, dass in der Obersekunda (Klasse 11) am Gymnasium der Lehrer einmal gefragt habe: "Wir haben in der Klasse zwei Rheydter und 17, die aus Gladbach kommen. Wie ist das eigentlich: Wie viele von den 17 Gladbachern waren denn schon mal in Rheydt?" Es waren zwei.

"Ich weiß, dass noch bis weit in die Nachkriegszeit hinein ein Miteinander sehr schwer möglich war wegen des Konkurrenzdenkens der beiden Städte. Gladbach war die größere, Rheydt die kleinere Stadt. Hinzu kam, dass Gladbach in der Vergangenheit katholisch, Rheydt protestantisch geprägt gewesen war. Viele Rheydter wie auch manche Gladbacher kannten noch lange den unmittelbaren Nachbarn, die andere Stadt, sogar weniger als Gladbach oder Köln", sagt Hans-Wilhelm Pesch, dessen Vater Heinrich nach dem Krieg Rheydter Oberbürgermeister war.

Dass die beiden und dazu noch Wickrath dann 1974/75 doch zusammenkamen, bewirkte die Landesregierung in Düsseldorf, die im Zuge der NRW-weiten, rigorosen kommunalen Neugliederung Druck und das nötige Gesetz machte. Es gab aber auch wachsende Einsicht bei vielen Politikern. "So wie es lief, konnte es nicht weitergehen. Die Zuschüsse des Landes orientierten sich an der Größenordnung und Leistungsfähigkeit der Kommunen. Und bei uns hier brach die Textilindustrie als große Einnahmequelle weg", schildert Hans Segschneider die Entwicklung.

Erleichtert wurde die politische Willensbildung durch die Tatsache, dass nun auch in Rheydt die CDU in den Stadträten die dominierende Rolle spielte und "nicht befürchten mussten, durch politische Bedingungen der künftigen Partner ihre Mehrheit im Stadtrat zu verlieren". ordnet Dr. Hans-Walter Hütter (55), gebürtiger Rheydter, Geschichtswissenschaftler und ehemaliger Kommunalpolitiker, die damaligen Gegebenheiten ein.

So setzte sich die politische Mehrheit dann auch gegen den Widerstand durch, den die "Aktion Bürgerwille" unter dem Schlagwort "Wickrath darf nicht eingemeindet werden!" und die "Freie Wähler Gemeinschaft Wilh. Schiffer - Rheydt" unter dem Motto "Selbstständigkeit für Rheydt!" durch (unterschiedliche) Aufrufe zum Volksbegehren zu organisieren suchten, aber nicht die notwendige Unterstützung in der Bevölkerung fanden.

So also kam die Neuordnung, und mit ihr auch die Suche nach dem Namen für die neue Stadt. "Bei uns im Rheydter Rat gab letztlich eine Stimme den Ausschlag für ,Mönchengladbach'", sagte 1999 bei einem Symposium der Stadt zum 25. Jahrestag der Neugliederung SPD-Ratsherr Norbert Greschus. "Im Grunde aber war das hinterher schnell vergessen, weil eben Mönchengladbach viel bekannter war, allerdings auch durch Borussia. Je weiter man nämlich weggeht von Mönchengladbach, desto mehr sind auch die Rheydter Mönchengladbacher."

(RP)
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