Reportage Die letzten drei Kilometer sind eine Qual

Mettmann · Holger Marcus von den Mettmanner Triandertalern absolvierte in Roth zum ersten Mal einen Ironman. Sein Traum ist die WM auf Hawaii.

Mettmann Es ist noch dunkel, als der Wecker klingelt. Vier Uhr. Die Nacht war kurz, dennoch ist Holger Marcus gleich hellwach. Die Aufregung vor seinem ersten Ironman treibt ihn an. Fahrig schmiert sich der durchtrainierte Sportler aus dem Team der Mettmanner Triandertaler eine Scheibe Toast mit Marmelade und beginnt, seinen Körper mit Flüssigkeit zu versorgen. Der Wetterbericht hat für Roth 30 Grad Celsius angekündigt, 222 Wettkampfkilometer liegen vor ihm.

Es ist 7.30 Uhr und der Main-Donau-Kanal schon voller Menschen. 4400 Starter springen in Gruppen von 250 Teilnehmern ins Wasser. Da Holger Marcus noch keine Referenzzeiten hat, muss er sich hinten einreihen. Den Beutel mit der Ausrüstung für die 180 Kilometer auf dem Rad und den Marathon hat er in der Wechselzone deponiert. Das Wasser sprudelt und schäumt, als die Athleten in ihren schwarzen Neoprenanzügen anschwimmen. Mit kraftvollen Zügen lässt Holger Marcus das Feld hinter sich.

8.50 Uhr. Nach einer Stunde und 20 Minuten hat Holger Marcus die 8,3 Kilometer im Wasser bewältigt. Tropfnass geht er an Land, seine Frau macht ein Foto und klatscht ihn ab. Locker läuft er in die Wechselzone, drückt seinen Neoprenanzug einem der 4500 Helfer in die Hand, streift Socken, Schuhe und Helm über und läuft neben seinem Rad auf die Strecke. Die Rennmaschine hat sich Marcus eigens anfertigen lassen. Mit den ersten Tritten versucht der 48-Jährige, den Rhythmus zu finden. Vor ihm liegen 180 Kilometer und 1400 Höhenmeter.

Intensiv saugt Holger Marcus die Atmosphäre in sich auf, hört rechts und links die Menschen seinen Namen rufen, der auf der Startnummer steht, und tritt locker in die Pedale. An den Verpflegungsstationen greift er im Vorbeifahren nach Wasser, alle 20 Minuten nach einer Portion Energiegel aus seiner Radflasche. Doch nach 120 Kilometern wehrt sich sein Magen gegen den süßen Mix aus Waldbeeren, Orange und Koffein. Übelkeit steigt hoch und die Angst, es nicht zu schaffen. An der nächsten Verpflegungsstation nimmt Marcus einen Becher Cola und knabbert verzweifelt an einem Energieriegel herum. Der Magen beruhigt sich, die Anspannung fällt von ihm ab, bei Kilometer 150 fühlt er sich wieder gestärkt.

In den kleinen Ortschaften haben die Anwohner Tische aufgebaut. Sie trinken, lachen, feiern und rufen. Auf kleinen Bühnen spielen Bands. Dann kommt der Solarer Berg mit acht Prozent Steigung. Holger Marcus biegt in die Kurve, schaut nach oben – und sieht nur Menschen. Sie schwenken Fahlen, läuten Glocken und rufen immer wieder "Holger, Holger!" Er bekommt Gänsehaut und muss dem Reiz widerstehen, seine Trittzahl zu erhöhen.

14.30 Uhr. Fast sechs Stunden sitzt Holger Marcus im Sattel, als er sich der Wechselzone nähert: "Tragen mich meine Beine noch?" Dieser Gedanke schießt ihm durch den Kopf. Rad abgeben, Schuhe anziehen, loslaufen. Seine Frau gibt ihm einen flüchtigen Kuss, dann verliert er sie aus den Augen. Ein Stück läuft er am Kanal entlang, dann windet sich die Strecke bergauf und bergab durch den Wald. Dort spürt er nach der sengenden Sonne die schattige Kühle angenehm auf seiner Haut.

Nass glänzen die Matten am Wendepunkt. Holger Marcus strauchelt, spürt einen Stich im rechten Fuß: "Das fühlt sich nicht gut an." Er beißt die Zähne zusammen, joggt langsam vorwärts und versucht, die Schmerzen zu ignorieren. Er schleppt sich bis Kilometer 21. "Prima! Glückwunsch! Du schaffst es!", hört er die Leute rufen. Er stellt sich das Ziel vor und zählt rückwärts.

Elf Stunden hat Marcus in den Beinen. Die letzten drei Kilometer bergauf sind eine Qual. Die Oberschenkel brennen, eine bleischwere Müdigkeit droht ihn zu lähmen. Er kämpft verbissen. Dann hört er den Stadionsprecher seinen Namen rufen – und plötzlich spürt er, dass er es schafft. Vor seinen Augen tanzen Sterne. Doch er läuft weiter.

19.20 Uhr. Die letzten zehn Meter. Das Stadion tobt, Marcus fühlt sich wie berauscht. Fast trotzig reckt er die Faust hoch. Die Stimme gehorcht ihm nicht mehr, seine Augen füllen sich mit Tränen. Er fällt in die Arme seiner Frau. Sein erster Gedanke: "Das muss ich unbedingt noch einmal machen."

(domi)
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