Krefeld Krefeld - Stadt der schönen Kirchen

Krefeld · Es ist eine verkannte Seite Krefelds: Die Stadt hat qualitätvolle Kirchbauten, die überregionalen Vergleichen standhalten. Sebastian Schritt ist ein Fachmann, der leidenschaftlich dafür wirbt, dieses Erbe zu würdigen.

 Sebastian Schritt in St. Heinrich: Er fotografiert Krefelds Kirchen, wann immer er kann.

Sebastian Schritt in St. Heinrich: Er fotografiert Krefelds Kirchen, wann immer er kann.

Foto: Thomas lammertz

Sebastian Schritt hat sich in einem Alter für Kirchen interessiert, in dem andere Jungs an Fußball, Lokomotiven oder Rennwagen denken: "Wenn ich früher im Wald spazieren gehen musste, hab ich geknatscht. Durfte ich in eine Kirche, war ich zufrieden", sagt er lächelnd. Mit 16 Jahren schrieb er für unsere Zeitung eine Serie über Krefelder Kirchen, und mit 16 schrieb er auch seinen ersten Beitrag für die Zeitschrift "die heimat": eine fundiert recherchierte kunsthistorische Inventarisierung der Johanneskirche - etwas, das es im Jahr 1986 noch nicht gab.

Kirchen haben es ihm angetan, und auch beim Treffen mit ihm in der Uerdinger St.-Heinrich-Kirche sagt er nach ein paar Minuten Unterhaltung: "Das hier ist wirklich einzigartige Architektur."

Schritt ist heute 46 Jahre alt, lebt in Trier und arbeitet im Informationszentrum des Doms. Das Thema Kirchbau hat ihn nie losgelassen. Er studierte Kunstgeschichte, ist ausgebildeter Glockensachverständiger und Campanologe: Er erfasst und archiviert Glocken, ihre Geschichte, ihre Klänge, ihre Inschriften. Krefeld ist er bis heute verbunden - auch darin, dass er leidenschaftlich dafür plädiert, den Schatz der Kirchbauten wiederzuentdecken. Das ist in einer Stadt, die sich das Erkennungswort "wie Samt und Seide" gegeben und damit den Blick auf eine bestimmte Tradition fixiert hat, nicht selbstverständlich: Krefelds Kirchbautradition ist fast ein blinder Fleck im kollektiven Gedächtnis. Das ist auch auf Internetseiten von Gemeinden zu spüren: Hinweise auf die Baugeschichte und Besonderheiten der Kirchbauten sind oft spärlich oder fehlen ganz.

Krefelds große Zeit des Kirchbaus begann Mitte des 19. Jahrhunderts und dauerte bis in die 1960er Jahre an - denn es gibt auch moderne Kirchen, für die Schritt schwärmt: "Die Franziskuskirche ist eine der schönsten modernen Kirchbauten des Rheinlands, und das liegt im Grundriss an der Kleeblattform und im Innern vor allem an den Fenstern", sagt Schritt.

Die Kirche St. Heinrich wiederum markiert auf einzigartige Weise den Aufbruch in die Moderne: Als sie geplant und gebaut wurde (1912 - 1915), gehörte Uerdingen noch zum Erzbistum Köln, berichtet Schritt. "Und im Bistum galt: Kirchbauten sind entweder neoromanisch oder neogotisch zu bauen." Der ursprüngliche Entwurf von St. Heinrich aber wagte mehr: Es finden sich neoromanische und neoklassizistische Elemente - herausragend aber ist der große, einheitlich wirkende Kirchenraum, der Gemeinde und Pfarrer fühlbar eint. Und das, sagt Schritt, war durchaus ein modernes liturgisches und theologisches Programm. Doch Köln intervenierte, bestand darauf, dass Säulen eingezogen wurden - als Reminiszenz an die vertraute Dreischiffigkeit. Das geschah auch, doch noch heute ist im Kirchenraum spürbar, dass es eigentlich nur ein Hauptschiff gibt, in dem das Volks Gottes und seine Diener vereint sind: "Diese Mischung und die Anlage des Kircheninneren sind in der Form im katholischen Kirchbau singulär", sagt Schritt.

Überhaupt das Wörtchen Neo. Es hatte früher den Klang des bloß Nachgemachten, berichtet Schritt - doch seit etwa 30 Jahren wird es in der Kunstgeschichte neu bewertet. "All die Kirchen, die den Beinamen Neo tragen, werden heute doch als individuelle Neuschöpfungen gewürdigt. Natürlich werden alte Formen zitiert, aber die Neo-Bauten sind eben auch Neuansätze aus ihrer Zeit. Bei St. Heinrich kann man das besonders gut sehen."

In diese Linie gehört für Schritt auch die Lutherkirche. "Sie hat eine völlig neue Grundform: eine romanische Hülle, einen gotisierenden Innenraum mit vielen Jugendstil-Pflänzchen, und doch kann man von allen 1166 Sitzplätzen aus die Kanzel sehen." Wie bei St. Heinrich ist der Innenraum darauf angelegt, Gemeinde und Pfarrer zu einen - eine Grundform, die sich schon früh in evangelischer Kirchbau-Tradition herausgebildet hatte.

Schnell fallen auch andere Kirchennamen: St. Cyriakus ("Hüls ist fantastisch"), St. Gertrudis in Bockum ("herausragendes Beispiel früher Neogotik"), St. Clemens ("romanischer Turm mit spätgotischem Langhaus - eine unglaublich anheimelnde Kirche und ein Beispiel, dass die Neogotik nicht immer nur hohe Gewölbe kennt; zugleich ein frühes Beispiel für Denkmalpflege; Architekt Vincenz Statz hat sie sehr behutsam und voller Respekt für den Bestand erweitert"), St. Dionysius ("relativ ausgeprägt klassizistisch; Fensterzyklus und die Orgel sind herausragend"), St. Josef ("einziger Vertreter der rheinischen Romanik; die einzige Doppelturm-Front Krefelds; zugleich ausgestattet mit dem mit Abstand bedeutendsten Geläute weit und breit") und Liebfrauen ("Kölner Neugotik, allererste Sahne"). Wer ihm zuhört, sieht Krefeld am Ende neu: Die Stadt wie Samt und Seide ist auch eine Stadt der schönen und außergewöhnlichen Kirchen - eine große Tradition, die bröckelt, weil die Kirchen manche ihrer Bauten nicht mehr halten können. Schritt erfüllt das mit Trauer: "Mittlerweile stehen ja auch große, bedeutende Kirchbauten zur Disposition. Mir wird dabei angst und bange. Es geht ja nicht nur um den Verlust von Heimat für die Menschen, die sich einer Kirche verbunden fühlen, es geht auch um bedeutende Kulturgüter. Ich hoffe nur, dass die Verantwortlichen sich dessen bewusst sind."

(RP)
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