Adnan in Türkei abgeschoben Abschiebe-Schicksal wühlt Krefeld auf

Krefeld · Er ging ins Kirchenasyl, Hunderte solidarisierten sich, eine Ratssitzung wurde gestürmt – alles half nichts: Der seit 1984 in Krefeld lebende Adnan ist am Freitag in die Türkei abgeschoben worden. Er kam als 15-Jähriger nach Deutschland.

"Fall Adnan": Leserreaktionen nach der Abschiebung
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Foto: Familie von Adnan

Er ging ins Kirchenasyl, Hunderte solidarisierten sich, eine Ratssitzung wurde gestürmt — alles half nichts: Der seit 1984 in Krefeld lebende Adnan ist am Freitag in die Türkei abgeschoben worden. Er kam als 15-Jähriger nach Deutschland.

Es ist eine Welle der Solidarität für einen ausländischen Mitbürger, wie es sie in Krefeld noch nicht gegeben hat: Vor 30 Jahren kam der Flüchtling Adnan als 15-Jähriger nach Krefeld. Er sagte damals von sich, er sei im Libanon geborener Kurde und heiße "Harb" mit Nachnamen, heiratete hier seine Frau Nawal, bekam mit ihr drei Kinder, Marua (17), Amin (25) und Smail (23). In all den Jahren lebte diese Familie in Krefeld.

Krefeld: 200 Menschen demonstrieren gegen Abschiebung von Adnan C.
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Am Freitag um 7.45 Uhr aber wurde Adnan in einem Flugzeug vom Abschiebegefängnis Berlin nach Istanbul geflogen. Das Krefelder Ausländeramt begründet dies damit, dass er als 15-Jähriger mit falscher Identität nach Deutschland gekommen sei. Er sei Türke und heiße "Cetin" mit Nachnamen. Höchste Gerichte hätten dies bestätigt. Nur wenn er anerkenne, Türke zu sein, könne er bleiben.

Der Fall Adnan bewegt Krefeld seit Wochen — und der neutrale Beobachter muss sich schwer tun, ein endgültiges Urteil zu fällen.

Eklat bei Ratssitzung

Die Chronologie einer Abschiebung: Anfang März gewähren die Krefelder Pfarrer Paul Jansen und Thorsten Obst dem Mann Asyl in ihrer Kirche St. Anna, weil die Stadt Adnan mit Festnahme droht. Jahrzehntelang war er vorher geduldet. Tage der Ungewissheit vergehen, bis Krefelds Oberbürgermeister Gregor Kathstede durch einen Brief an das NRW-Innenministerium Hoffnung stiftet. Für die Zeit bis zum Ministerentscheid werde Adnan nicht festgenommen, versichert Kathstede.

In seinem Antwortschreiben kann der Minister Ralf Jäger aber lediglich mitteilen, dass Kathstede nur bei rechtlichen Zweifeln den Fall erneut prüfen solle. Für den OB ist die Lage vertrackt: Denn Rechtszweifel kann er, ein juristischer Laie, aufgrund des Gerichtsurteils eben gerade nicht haben. Adnan will schlussendlich Klarheit und besucht das Krefelder Ausländeramt am Hauptbahnhof. Dieser Gang wird ihm zum Verhängnis: Am 30. April wird er dort in Handschellen gelegt und dem Haftrichter vorgeführt.

Die Krefelder Bürger, stolz auf die lange Toleranzgeschichte ihrer Stadt, solidarisieren sich jetzt mit dem Mann: 1800 unterzeichnen eine Internetpetition für Adnan. In einer ungewöhnlichen Allianz spricht sich der Rat noch am Donnerstagabend vor der Abschiebung für einen Verbleib Adnans aus: Der Oberbürgermeister solle ihm einen dauerhaften Aufenthaltstitel verleihen. Nur die CDU stellte sich hinter die Verwaltung.

Danach eskaliert die Lage: 350 Demonstranten sitzen im Publikum, darunter Vertreter aus Kirche und Flüchtlingsorganisationen, die meisten ruhig. Es sind auch radikale Kräfte darunter: Eine Gruppe, die sich als "Linksjugend" kennzeichnet, zeigt ein Banner, auf dem das Konterfei von Oberbürgermeister Kathstede zu sehen ist, daneben ein weiteres: "Rassismus hat viele Gesichter", steht darauf. Der Ordnungsdienst kassiert diese Provokation nicht ein. Oberbürgermeister Kathstede schweigt während der Sitzung lange, lässt seinen Dezernenten Ulrich Cyprian sprechen. Die Sitzung wird aber mehrfach unterbrochen; einmal gehen sogar die weinende Mutter und die Tochter Adnans, begleitet von weiteren Demonstranten, zu Kathstedes Platz, reden flehend auf ihn ein.

Adnan darf drei Jahre nicht nach Deutschland einreisen

Sichtlich niedergeschlagen erklärt der Oberbürgermeister sich dann doch noch. Er spricht der Familie sein Mitgefühl aus, sagt aber in Reaktion auf ein Plakat mit dem Schriftzug "Wir Krefelder schämen uns" den alles entscheidenden Satz: "Man muss sich in diesem Staat zunächst einmal nicht schämen, wenn man sich an ein Gesetz hält." Spätestens hier merken die Demonstranten, dass ihre Forderung nicht erfüllt werden kann. Rufe wie "Stasi" oder "Nazi" werden laut. Um 19.35 Uhr wird die Sitzung abgebrochen, das Parlament muss vor pöbelnden Einzelnen einknicken. Am Freitag folgt der politische Streit über die Ursachen und Schuldigen des Ratsdebakels — die einen üben Kritik am Abbruch, andere reden von aufgeheizter Atmosphäre.

Helfen wird dies Adnan, dem Deutschland zur Heimat geworden ist, nicht mehr — es ist das Gesetz, dass Menschen wie ihm kein Bleiberecht verschafft. Die Stadt betont, dass er durch Gerichtsbeschluss für drei Jahre nicht mehr einreisen dürfe. Wie es ihm in der Türkei geht, teilen am Freitag auch engste Bekannte nicht mit. Nur eines wissen sie sicher: Adnan hat einen Plan, er will von der Türkei in den Libanon flüchten, um dort Beweise für die libanesische Identität zu finden.

Der Fall Adnan sorgt für Trauer und Wut in Krefeld. Die Geschichte der Stadt ist geprägt vom Toleranzgedanken, Krefeld ist durch die Aufnahme der Religionsgruppe der Mennoniten erst groß geworden. Mennonitische Seidenbarone waren es, die Krefeld zur Blüte als Textilstadt verhalfen. Jetzt gerät die Stadt wegen einer Abschiebung zu unrühmlicher Bekanntheit.

(RP)
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