Blogger aus Kamp-Lintfort Vater Hülsken schreibt Lenas Tagebuch

Kamp-Lintfort · Oliver Hülsken schildert in einem Online-Tagebuch den Alltag mit Lena. Seine zwölfjährige Tochter ist in ihrer Entwicklung stark verzögert - ein kleines Kind im Körper eines jungen Mädchens. Einen Namen für ihre Erkrankung hat er nicht, aber er weiß: "Engel gibt es überall."

 Lena (links) ist stark entwicklungsverzögert. Die Tagebuch-Einträge von Vater Oliver Hülsken (hier mit Tochter Mia) über das Leben mit Lena machen anderen Eltern und Betroffenen Mut.

Lena (links) ist stark entwicklungsverzögert. Die Tagebuch-Einträge von Vater Oliver Hülsken (hier mit Tochter Mia) über das Leben mit Lena machen anderen Eltern und Betroffenen Mut.

Foto: Klaus Dieker

Lena lacht gerne. Sie mag Kissen und isst am liebsten Fleischwurstkringel. "Sie freut sich über alles. Ein fröhlicheres Kind kann man sich nicht vorstellen", sagt Mutter Claudia Hülsken. Ihr Vater Oliver führt seit Anfang Oktober online Tagebuch über das Leben mit seinem "Engel", der den Alltag seiner Eltern doch so auf den Kopf gestellt hat. Lena ist ein besonderes Kind. Das zwölfjährige Mädchen spricht nur wenige Worte, kommuniziert mit Lauten, leidet an Epilepsie, auch motorisch fällt ihm vieles schwer. Sie ist auf dem Entwicklungsstand eines Kleinkindes.

Einen Namen haben die Eltern für die Erkrankung ihres Kindes nicht. "Nur eine Liste mit Symptomen", sagt Hülsken. "Lena - Engel gibt es überall" hat der Lintforter seinen Blog genannt, der auf Facebook läuft. Der Vater erhält großen Zuspruch auf seine Schilderung des Alltags mit seiner Tochter, auch wenn nicht jeder Tag einfach ist.

"Es tut gut, sich außerhalb seines eigenen Kreises mitzuteilen", sagt er. "Ich habe noch keine negativen Kommentare erhalten, selbst nicht an dem Tag, als ich ein Video ins Netz eingestellt habe, das einen der häufigen Wutanfälle Lenas zeigt", erzählt er. Denn die gibt es auch. Im Gegenteil, die Reaktionen zeigen deutlich: Hülsken macht anderen Eltern und Betroffenen mit seinen Berichten einfach Mut. Lena ist das erste Kind der Familie. "Wir waren oft ratlos, verzweifelt und haben uns den Kopf zerbrochen. Man stellt sich ja immer wieder die Fragen: Tun wir genug? Was können wir besser machen?", sagen die Eltern, während sich Lena, die einige Gebärden beherrscht, mit einem Talker beschäftigt. Das ist eine elektronische Kommunikationshilfe.

"Lena spielt kaum selbstständig. Sie mag eher stereotype Dinge", sagt ihr Vater. Aus Liebe zur Tochter haben Claudia und Oliver Hülsken vor einigen Jahren die Suche nach dem Grund unterbrochen, warum sich Lena so entwickelt hat, wie sie heute ist - vorerst. Die Eltern hatten schon früh festgestellt, dass das Mädchen sich nicht im selben Schrittmaß wie ihre Altersgenossen entwickelte. "Der Kinderarzt meinte damals, dass alles in Ordnung wäre. Für ihn war sie ein Spätzünder", erinnert sich der Familienvater. Zunehmend schwand diese Hoffnung. Stattdessen folgten aber Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte, zahlreiche Untersuchungen und noch mehr Tests. "Irgendwann war das für Lena einfach zuviel."

Die erste Diagnose überhaupt erhielt die Familie nach etwa zwei Jahren. "Wir trafen im Klinikum Wedau zufällig eine Chefärztin auf dem Flur. Sie schaute Lena ins abwesend wirkende Gesicht und vermutete, dass sie Epilepsie haben könnte." Sie sollte recht behalten. Lena muss heute starke Medikamente nehmen. "Das sind keine Kopfschmerztabletten", betont Hülsken. Trotz dieser hat Lena jeden Tag noch unzählige kleine "Anfälle". Ein anderer Arzt, den die Familie in Vogtareuth aufsuchte, vermutete, dass Lena ein Angelman-Kind sei.

Der britische Kinderarzt Harry Angelman beschrieb im Jahr 1965 das später nach ihm benannte Syndrom erstmals unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Er nannte es aufgrund des auffälligen Bewegungsmusters und des häufigen Lachens der Kinder, die er betreute, Happy-Puppet-Syndrom. Doch die genetischen Tests bestätigten dies bei Lena nicht. "Man kann es nur zu 80 Prozent genetisch nachweisen, so klammert man sich halt weiterhin an jeden Strohhalm", sagt der Familienvater. Die Eltern haben inzwischen die Suche nach einem Namen für Lenas Erkrankung wieder aufgenommen.

Noch wichtiger ist es ihnen allerdings, dass ihre Tochter am Leben teilnehmen kann - auch außerhalb der vier Wände ihres Zuhauses in Kamp-Lintfort. Dabei ist die Großmutter eine wichtige Hilfe - Lenas Ein und Alles. "Sie verstehen sich richtig gut." Die Hülskens kämpfen bei Krankenkassen und Behörden darum, dass Lena alle Hilfsmittel bekommt, so dass das Zusammenleben funktioniert. Sie haben durchgesetzt, dass ihrer Tochter in der Schule eine alleinige Integrationshelferin zur Seite steht. In der Schule gab es vorher gravierende Probleme. Und im Januar kommt der neue Rollstuhl. "Das hat lange gedauert, bis die Krankenkasse den genehmigt hat." Lena wird ein Pflegefall bleiben, das wissen die Eltern. Das Mädchen besucht die Bönninghardt-Schule in Alpen, eine Förderschule des Kreises Wesel mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung. Die Familie, dazu gehören zwei Geschwister, unternimmt Ausflüge und Spaziergänge, fährt zum Shoppen zu Ikea und versucht, Lena immer in den Alltag einzubinden. Auf Ferienfreizeiten sei Lena glücklich, sagen die Eltern. Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie und Reittherapie füllen den straffen Terminkalender der Familie. "Vor kurzem hat sie Bootsmann kennengelernt, den Hund einer Bekannten", sagt Hülsken. Solche Treffen tun allen gut. Lena hat den Vierbeiner und dessen Besitzerin sofort ins Herz geschlossen - wie fast alle Menschen, denen sie begegnet. "Wenn es nach ihr geht, dürfen alle zusammen mit ihr in unserem Bus mitfahren", sagt Oliver Hülsken und lächelt.

Vor einigen Tagen hat er ein Foto seiner Tochter auf Facebook eingestellt, das sie sechs Wochen nach der Geburt zeigt. Dazu schreibt der Kamp-Lintforter in seinen Blog: "Heute, auf den Tag genau vor zwölf Jahren und sechs Wochen nach der Geburt, war die Welt noch in Ordnung. Aber ist sie im Grunde nicht heute auch noch in Ordnung. Es ist halt nur eine andere Ordnung."

(RP)
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