Geldern Wie die Ponter ihr Kneipenleben retten

Geldern · Vor zwei Jahren hat in Pont die letzte Gaststätte dichtgemacht. Jetzt betreiben engagierte Bürger den Gasthof "Lünebörger" selbst - mit viel Herzblut und Hilfe von Einwohnern und Firmen. Eine Erfolgsstory für ein ganzes Dorf.

 Am Tresen stehen (v.l.) Walter Ophey und Hein Lemmen an diesem Sonntag. Ria Leuker hat nicht nur die Gäste, sondern auch hinter der Theke alles im Griff.

Am Tresen stehen (v.l.) Walter Ophey und Hein Lemmen an diesem Sonntag. Ria Leuker hat nicht nur die Gäste, sondern auch hinter der Theke alles im Griff.

Foto: Seybert Gerhard

Was beim Eintreten gleich beeindruckt, ist die Atmosphäre. Warmes Licht, helles Holz, alles ist blitzsauber: Es ist urig im Gasthof "Lünebörger", ohne altbacken zu wirken. Der Schankraum ist voll: Frühschoppen am Sonntagmorgen. Links in der Ecke tagt ein Frauen-Stammtisch. An der Theke laufen Gespräche, an Tischen spielen Männerrunden Karten. "Wir würden niemals in irgendeine Kneipe gehen", sagt Anni Niehues, die in der Frauengruppe sitzt, "aber hier sind wir zu Hause." So sieht es auch Ilona Ahland. Eigentlich sei sie nie eine große Kneipengängerin gewesen, aber beim "Lünebörger" sei das was anderes: "Hier hör' ich immer das Neueste aus Pont." Und einfach gemütlich ist es hier, finden alle.

Walter Ophey vom Betreiber-Team lächelt wissend. "Jeder, der her reinkommt, sagt: Was ist das für ne tolle Kneipe", erzählt er. Die Lorbeeren dafür gebühren den Ehrenamtlern. Und die Geschichte dahinter ist eigentlich tragisch. Im Jahr 2015 machten nacheinander alle drei Kneipen im Dorf dicht - im Januar der "Lünebörger", im Frühjahr das "Antik", im Spätsommer der "Lemkes Hof". Mitglieder des Heimat- und Fördervereins wollten das nicht hinnehmen. Sie beschlossen: Dann stellen wir uns eben selbst hinter den Tresen.

 Ein Ort, um gemütlich unter Leute zu kommen: An den Tischen sitzen die Karten-Spieler und die Stammtische.

Ein Ort, um gemütlich unter Leute zu kommen: An den Tischen sitzen die Karten-Spieler und die Stammtische.

Foto: Seybert

Das war im Herbst 2015, und manch ein Skeptiker gab dem "selbst gemachten" "Lünebörger" gerade mal eine Laufzeit von einem halben Jahr. Heute, gut zwei Jahre später, erzählt die Kneipe davon, was eine Dorfgemeinschaft erreichen kann: Der "Lünebörger" ist ein wichtiger Treffpunkt für Pont.

Das meint zum Beispiel Josef Winkelmann, der gerade seine Skat-Runde verlassen hat, um an der Theke seine Zeche zu zahlen. "Das hält die Kameradschaft zusammen", sagt er: "Man muss sich ein bisschen beteiligen im Ort. Wenn man zu Hause am Ofen bleibt, verkümmert man." Und ebenso sehen es die Männer vom Stammtisch "Na de Hommes" ("Nach der Messe"), die am Tisch um die Ecke "Tuppen" spielen. Seit über 50 Jahren gibt es ihre Runde, erzählt Hans-Josef Liepin. Und die Dorfkneipe: "Das ist der Ort, wo man mal wen trifft."

Dass der Laden rund läuft, das liegt unter anderem an der guten Seele, dem Profi hinter der Theke: Ria Leuker. Sie ist ein Ponter Urgestein: 81 Jahre jung, sie kennt jeden, jeder kennt sie. Sie hat früher den "Lemkes Hof" in Pont geführt, später mitgeholfen, als die nächste Generation übernahm. Als er die Türen schloss, "da hab ich jede Menge Langeweile gehabt und wusste nichts mit mir anzufangen", erzählt sie. Also sagte sie "ja" zur Arbeit im "Lünebörger", und die bringt ihr viel. "Es ist nun mal mein Leben", sagt sie. "Das Tolle ist, mit den Leuten umzugehen." Und ein Dorf brauche eine Kneipe: "Dass man was klönen kann, das ist das Wichtige."

Wie viel Arbeit hinter der Erfolgsgeschichte steckt, das lässt sich gar nicht beziffern, sagt Hein Lemmen. Er ist Mitbegründer der ersten Stunde und heute einer der aktivsten Ehrenamtler. Erst kam das Renovieren vor zwei Jahren: "Richtig malocht" hätten die Helfer da. Nach und nach wurde immer mehr vom Interieur erneuert. Ein paar Anschaffungen waren nötig: Barhocker, Gefrierschrank, Musikanlage, Beleuchtung. Und dann ist da der laufende Betrieb - vom Blumengießen übers Kellnern bis zur Buchführung.

"Es macht ja Spaß", erzählt Walter Ophey, was ihn und die anderen bei der Stange hält: "Die junge Leute kommen wieder hierher." Die Kegelbahn ist Samstag und Sonntag immer voll. Und der Gasthof bleibt modern: "Wir gehen immer mit dem Trend", erzählt Ophey fröhlich. Zum Beispiel bei der Getränkekarte: "Die Jungs und Mädels sagen mir, was sie trinken wollen, und ich kenn' es zwar nicht, aber dann besorgen wir das."

Im "Lünebörger" werden Geburtstage, Jagdgesellschaften und Weihnachtspartys gefeiert. Ab und an organisiert eine kleine Truppe ein Kneipenquiz. "Dafür dürfen wir keine Reklame machen", erzählt Hein Lemmen. Das spricht sich nämlich sowieso rum - "und der Laden ist dann brechend voll".

Doch obwohl die Kneipe so beliebt ist: Auf Gewinn dürften die Betreiber nicht aus sein. Unter der Woche sind manchmal nur eine Handvoll Leute da, dann machen die ehrenamtlichen Wirte trotzdem auf. "Wenn man es kaufmännisch rechnet, ist es Schwachsinn", sagt Hein Lemmen. Das Projekt wäre sofort am Ende, wenn die Betreiber reguläre Miete zahlen müssten.

Das müssen sie aber nicht. Denn - und das ist der nächste große Erfolgsfaktor: Sie erhalten riesige Unterstützung von Ponter Unternehmen. Das Gebäude gehört der Firma Deckers, bekannt durch die Champignonzucht. Deren Beschäftigte wohnen in der oberen Etage. Als der Heimatverein zaghaft anfragte, ob er die Kneipe wiedereröffnen dürfte, hieß es vom Seniorchef ohne Zögern: "Könnt ihr haben." "Die Verhandlung hat eine Minute gedauert", erinnert sich Lemmen. Immer wieder helfen Betriebe und Handwerker mit Material oder Arbeitsleistung und winken einfach ab, wenn es um die Rechnung geht. Viele Firmen verlegen auch Betriebsfeiern in den "Lünebörger".

Für die Ehrenamtler gibt es als Belohnung für die Plackerei vielleicht mal ein Abendessen. "Der Lohn der Mühe ist der Spaß", erklärt Hein Lemmen. Und Walter Ophey sagt schlicht: "Die Jugend ist glücklich, der Verein ist glücklich." Nur widerstrebend gibt er zu: "Gut - da kann man stolz drauf sein."

(RP)
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