Interview Gabriele Birnstein Weihnachten ist nichts für Perfektionisten

Düsseldorf · Die Diplom-Psychologin gibt Tipps für ein friedliches Fest. Sie verrät, wie man Stress bei der Vorbereitung und Konflikte unter dem Baum vermeidet – und gibt Tipps, wie auch Singles das Fest der Liebe fröhlich gestalten können.

 Gabriele Birnstein Foto: Anne Orthen

Gabriele Birnstein Foto: Anne Orthen

Foto: Anne Orthen (ort)

Diplom-Psychologin Gabriele Birnstein liebt Weihnachten – und hat gleichzeitig großen Respekt vor diesem Fest. Die eigene Leistungsfähigkeit wird auf eine harte Probe gestellt – und der Familienfrieden. Die Expertin für Lebenskrisen findet, dass Authentizität entscheidend ist. Und der Mut, Rituale und Traditionen auch mal in Frage zu stellen.

Frau Birnstein, Weihnachten soll das Fest der Liebe sein. Trotzdem knallt es mitunter heftig bei so vielen Menschen, was läuft da schief?

Gabriele Birnstein Ich bezeichne dieses Phänomen gerne als Weihnachtsfalle. Das Fest steht unter keinem guten Stern, wenn wir mit überzogenen Erwartungen daran gehen. Hinzu kommt oft ein extremer Geschenke-Stress. Und wer kennt das nicht: Altlasten aus Familienbeziehungen poppen an den besinnlichen Tagen gerne hoch – in Kombination mit einer Art Lagerkoller kann das zu sehr unschönen Streitigkeiten und Disharmonien führen.

Wieso gilt das Fest auch als kompliziert?

Birnstein Die Weihnachtszeit dauert fast vier Wochen mit drei Festtagen als Finale. Es steht wie kein anderes Fest für das Zusammenkommen der Familie, die nie so eng zusammenrückt wie an diesen Tagen. Alle verbringen viel mehr Zeit miteinander, sie essen gemeinsam, spielen zusammen, gehen spazieren und reden. Die dunkle Jahreszeit und der nahende Jahreswechsel tragen ebenfalls dazu bei, dass diese Zeit besonders emotional aufgeladen ist. So hat Google auch mehr Einträge zum Thema Weihnachtsstress als zum Thema Weihnachtsspaß. Das sagt schon viel aus.

Was empfehlen Sie, um die festlichen Tage möglichst schön und friedlich zu verbringen?

Birnstein Damit Weihnachten nicht zu einem Spießrutenlauf wird, empfehle ich eine frühzeitige Organisation der Weihnachtszeit, am besten schon im Sommer. Wichtig ist die Frage wer mit  wem und wann und wo gefeiert wird. Schließlich verteilt man sich auf Eltern, Schwiegereltern, Geschwister – das erfordert offene Gespräche und zwar besonders dann, wenn jahrelange Gewohnheiten, Weihnachtstraditionen vielleicht zur Diskussion gestellt werden. Auch die Aufgabenverteilung wie Baumschmücken, Festessen vorbereiten, Geschenke einpacken sollte klar verabredet werden, sonst bleibt die Arbeit gerne an einer Person hängen. Es muss auch nicht unbedingt das Fünf-Gänge-Menü sein, wenn die Zeit oder die Lust dazu nicht da ist. Und Geschenke kann man das ganze Jahr über einkaufen, denn nach dem Fest ist vor dem Fest.

Soll ich einfach meine Gäste bitten, etwas Leckeres mitzubringen? Gerade zu Weihnachten ist das doch eher streng geregelt, wer einlädt, der tischt auch ordentlich auf, oder?

Birnstein Ja, das ist landläufige Gewohnheit, zum Beispiel die üppige Weihnachtsgans zum Heiligen Abend. Aber  immer mehr Menschen leben mittlerweile den entspannten Gegenentwurf, sie essen Kartoffelsalat und Würstchen als Festmenü. Aber zwischen diesen beiden Extremen gibt es noch viele Gerichte, die nicht so stressig sind - zum Beispiel Fondue oder Raclette machen wenig Arbeit und sind sehr kommunikativ. Oder schlagen Sie doch mal vor, zusammen zu kochen. Wir haben gerade in Düsseldorf tolle Wochenmärkte mit regionalen Produkten, da könnte schon der gemeinsame Einkauf zu einem kleinen Event werden. Trauen Sie sich, mal andere Wege zu gehen. Und wer ist schon ein geborener Patissier? Wenn die Zeit zum Backen nicht da ist, dann kann man ohne schlechtes Gewissen tolle Kekse draußen kaufen. Auch hier mangelt es ja in einer Metropole wie Düsseldorf nicht an leckeren Angeboten. Auch ein Christstollen muss nicht unbedingt selbstgemacht sein, muten Sie sich das nur zu, wenn Sie wirklich Lust aufs Backen haben. Ein Supermarkt-Stollen kann auch sehr lecker sein und muss nicht viel kosten, schon gar nicht Zeit und Nerven.

Das Festhalten an Traditionen und Gewohnheiten könnte besonders zu Weihnachten sehr stark sein, wie wahrscheinlich ist es, dass ein Kurswechsel glückt?

Birnstein Niemand muss Rituale oder Situationen ertragen, nur weil man es jahrelang so durchgezogen hat. Allerdings gehört dann etwas mehr Arbeit dazu: Jeder hat das Recht sich Gedanken darüber zu machen, wie er oder sie sich eine glückliche Weihnachtszeit vorstellt, was man verändern könnte, was vielleicht sogar für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation werden könnte. Es gilt allerdings: Je früher die neuen Planungen und Gespräche in der Familie beginnen, desto mehr Zeit haben alle, sich in Ruhe daran zu gewöhnen. Neue Ideen und Vorstellungen werden selten mit offenen Armen begrüßt, rechnen Sie mit Widerstand und haben Sie Geduld.

Was ist, wenn ich das dieses Jahr schon verpasst habe?

Birnstein Heiligabend sollte man nicht eine Woche vorher plötzlich absagen oder mit saurer Miene ertragen, wenn man die Familientradition vorher klaglos mitgemacht hat. Das verletzt alle Beteiligten und man muss sich zu Recht fragen lassen, warum denn plötzlich alles nicht mehr gut genug ist. Versuchen Sie, das Beste aus diesem Weihnachtsfest zu machen und nehmen Sie sich fest vor, das im nächsten Jahr wirklich zu ändern. Und dann planen Sie diese Gespräche sorgfältig, was wollen Sie Ihrer Familie sagen? Statt nur Kritik an der gängigen Praxis zu üben, sollten Sie Alternativen vorschlagen, damit Ihre Leute wissen, dass Ihnen ihre Gesellschaft wichtig ist. Es ist nichts Verwerfliches daran, zuzugeben, dass man in der Vergangenheit mit dem ganzen Weihnachtsrummel überfordert war, dass man sich gehetzt gefühlt hat und sich bisher einfach nicht getraut hat, das vorher ehrlich einzugestehen. Konkret könnte das für die Zukunft bedeuten, dass eine junge Kleinfamilie am Heiligabend erst mal ganz für sich feiert und das Zusammensein mit Eltern und Schwiegereltern auf den ersten und zweiten Weihnachtstag verlegt.

Bin ich eigentlich besonders gefährdet, in die Weihnachtsfallen zu tappen, wenn ich frisch verliebt bin?

Birnstein Besonders dann. Zum Beispiel, wenn ich mich – gerade am Beginn einer Liebe – bei den potenziellen Schwiegereltern beliebt machen möchte. Da kann es passieren, dass ich vorschnell in einengende Weihnachtsrituale einwillige und diese dann ein paar Jahre nett lächelnd mitmache. Besser wäre es, sich von Anfang an klar zu positionieren, denn Rituale etablieren sich schnell, und dann hängt man in der Nummer drin. Auch hier gilt: Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden. Machen Sie nicht gute Miene zum bösen Spiel, sondern sagen Sie Ihrem Partner offen und ehrlich, wie Sie sich fühlen und beraten Sie dann gemeinsam, wie Sie mit der Weihnachtszeit und der gesamten Familie am liebsten umgehen möchten.

Millionen von Alleinstehenden leben in Deutschland, und in Metropolen wie Düsseldorf sind gut die Hälfte Single-Haushalte. Einige fürchten die Weihnachtszeit aus einem Grund: Einsamkeit. Welche Tipps haben Sie hier?

Birnstein Weihnachten traurig allein zu Haus finden sich all jene wieder, die nicht rechtzeitig geplant haben, sondern nach Ladenschluss an Heiligabend noch versuchen, der Tristesse des Alleinseins zu entkommen. Deshalb gerne schon frühzeitig darüber nachdenken, wie das Weihnachtsfest und der Jahreswechsel gestaltet werden könnten. Und ganz wichtig: Ändern Sie Ihre Sichtweise auf das Weihnachtsfest, es wurde ganz sicher nicht erfunden, um die Wirtschaft anzukurbeln oder alleinstehende Menschen zu bestrafen. Es ist vor allem ein Fest der Liebe, und das gilt für alle. Außerdem: Gleich und gleich gesellt sich gern: Fragen Sie die Singles in Ihrem Freundes-, Bekannten oder Kollegenkreis nach Ihren Plänen, vielleicht ergeben sich gemeinsame Unternehmungen wie Kino, Theater oder Konzerte. Gerade eine Stadt wie Düsseldorf hat tolle Veranstaltungen zu bieten. Alleine 16 Weihnachtsmärkte können die Weihnachtszeit zusätzlich versüßen. Auch viele Restaurants und Bars haben geöffnet. Oder: Organisieren Sie Ihre eigene Christmas-Party, kochen Sie zusammen mit anderen Singles, veranstalten Sie einen Spieleabend. Der Aufwand ist gering, wenn jeder etwas mitbringt. Übrigens: Ein großer Vorteil des Single-Daseins - und das nicht nur zur Weihnachtszeit - ist, dass Ihnen der ganze familiäre Stress erspart bleibt. Für viele auch ein Geschenk. Und so manch einer freut sich schon das ganze Jahr auf das traditionelle Altbiertrinken am 24. Dezember auf der Ratinger Straße, nicht nur Singles.

Was ist mit den Weihnachtsverweigerern?

Birnstein Für die gilt Ähnliches wie für die Karnevalsgegner: Wenn schon keine Lust auf das Fest, dann nichts wie weg, idealerweise in die Sonne, im Skiurlaub kann man sich nicht so optimal rausziehen aus dem ganzen Weihnachtszauber.

Es ist interessant, Sie gehen an das Thema sehr sachlich heran. Ist das das Erfolgsrezept?

Birnstein Ein wenig schon. Es hat Vorteile, das Ganze als eine Managementaufgabe zu sehen und das Thema vielleicht mal so emotionslos wie möglich zu betrachten. Die wichtigste Erkenntnis ist sicherlich, dass die Weihnachtszeit nichts für Perfektionisten ist, es gibt einfach zu viele Unwägbarkeiten. So viele Rollen sind gefordert an den drei Tagen: Der Manager, Top-Koch, Patissier, Sommelier und auch noch Gute-Laune-Garant, das ist zu viel. Das kann manchmal nur in Überforderung enden. Ich plädiere für Authentizität, und bleiben Sie locker. Eigentlich will man doch nur gemeinsam eine gute Zeit haben, oder?!

Wenn dann aber doch mal Familienkonflikte eskalieren, wie verhalte ich mich dann am besten?

Birnstein Weihnachten bedeutet gemütliches Zusammensein, lassen Sie sich gemeinsam treiben. Auf keinen Fall sollten Sie im Überschwang der weihnachtlichen, rührseligen Gefühle  Familienkonflikte ansprechen, weil gerade alle mal so nett beieinander sitzen, das gehört definitiv nicht zum Weihnachtsfest. Unterlassen Sie das, wofür eigentlich das ganze Jahr über Zeit genug ist. Wenn es doch mal knallt oder provokant wird, bleiben Sie cool, atmen Sie tief durch, schlagen Sie einen Spaziergang vor, um die Situation zu entzerren und zu beruhigen. Um Spannungen von vorn herein zu vermeiden, sollte man Menschen, egal ob Verwandte oder Freunde, von denen man weiß, dass sie sich nicht mögen, auch nicht zusammen einladen.

Wie halten Sie es mit Weihnachten?

Birnstein Für mich ist es die wichtigste und schönste Zeit im Jahr, beginnend mit dem ersten Advent und einem selbst gebastelten Adventskranz. Dann versinkt meine Wohnung nach und nach im Weihnachtskitsch. Das gemeinsame Baumschmücken, traditionell in Rot und Gold mit echten Kerzen, ist keine Arbeit für uns, sondern schon ein Event für sich. Dazu gibt es immer Champagner und amerikanische Weihnachtsmusik. Mein Mann Rene kocht besser als ich, ich backe dafür gerne mal einen Mohnstollen zum Fest. Kitschige Weihnachtsfilme mit Happy-End-Garantie müssen ebenso sein, wie neue Bücher von meiner Wunschliste und viel Zeit zum Lesen. Das ist meine positive Kindheitsprägung.

Wie lässt sich Patchwork praktizieren?

Birnstein Nur mit ganz viel Verständnis, Toleranz und offenen Gesprächen, wenn möglich. Die wichtigste Botschaft lautet: Es gibt drei Weihnachtsfeiertage, da sollten alle auf ihre Kosten kommen können, und Heiligabend sollte dabei auch nicht mehr wert sein als der erste oder zweite Weihnachtsfeiertag. Und mein Rat an die Eltern, deren Kinder schon volljährig sind: Die wollen vielleicht an Heiligabend nach dem gemeinsamen Essen und schöner Bescherung gerne noch in die City oder in einen coolen Club, um sich dort mit Ihren Freunden zu treffen. Seien Sie nicht beleidigt, bleiben Sie locker - Ihre Kinder lieben Sie - und nicht nur dafür.

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