Düsseldorf Erinnerung an jüdische Händlerfamilie

Düsseldorf · Im Streit zwischen Betten Hönscheidt und der Jüdischen Gemeinde schaltet sich nun die Mahn- und Gedenkstätte ein. Sie besitzt Dokumente zum furchtbaren Schicksal der Familie, die bis 1938 das Geschäft an der Schadowstraße führte.

 Ein Abschiedsfoto vor dem "Kindertransport" nach England: Fritz Grossmann im Mai 1939 mit seinen Söhnen Werner (links) und Gerd. Der Vater starb ein Jahr später im Konzentrationslager.

Ein Abschiedsfoto vor dem "Kindertransport" nach England: Fritz Grossmann im Mai 1939 mit seinen Söhnen Werner (links) und Gerd. Der Vater starb ein Jahr später im Konzentrationslager.

Foto: Mahn- und Gedenkstätte

Betten Hönscheidt feiert sein 75-jähriges Bestehen — das hat eine Diskussion um den Umgang mit der Firmengeschichte in der NS-Zeit ausgelöst. Die jüdische Gemeinde kritisiert, dass das Geschäft in einer Werbung vorgibt, es sei von Familie Hönscheidt 1938 gegründet worden.

 Das Geschäft "Alsberg & Co" an der Schadowstraße 26 bestand bis 1938. Dann wurde es nach einem Besitzerwechsel zu "Betten Hönscheidt".

Das Geschäft "Alsberg & Co" an der Schadowstraße 26 bestand bis 1938. Dann wurde es nach einem Besitzerwechsel zu "Betten Hönscheidt".

Foto: Mahn- und Gedenkstätte

Dabei werde verschwiegen, dass es schon länger bestehe und zuvor von einer jüdischen Familie geführt worden sei. Nach Ansicht der Gemeinde kaufte der Großvater der heutigen Chefin, Werner Hönscheidt, das Geschäft 1938 unter Wert, weil die Besitzer zum Verkauf gezwungen waren. Hönscheidt-Chefin Ines Reusch spricht derweil von einem rechtmäßigen Verkauf.

Die Mahn- und Gedenkstätte macht nun Dokumente zugänglich, die das furchtbare Schicksal der Familie Grossmann zeigen. Wie der Verkauf wirklich vonstatten ging, lässt sich daraus nicht ersehen — aber verstehen, warum die Jüdische Gemeinde, die den Fall gut kennt, bei der Jubiläums-Werbung hellhörig wurde. Wenige Monate nach dem Verkauf des Geschäfts wurden Fritz und Marta Grossmann deportiert und ermordet, die 12 und 13 Jahre alten Söhne überlebten nur, weil ihre Eltern sie mit einem "Kindertransport" nach England schickten. "Uns ist es wichtig, die Perspektive der Opfer des Nationalsozialismus zu zeigen", sagt Gedenkstättenleiter Bastian Fleermann.

Fritz Grossmann (1888-1940) war der Geschäftsführer des Ladens, der damals Alsberg & Co. hieß. Seine Frau Marta hatte ihn in die Ehe eingebracht. Die Brüder Gerd (geboren 1926) und Werner (1927), die heute in den USA und Kanada leben, erinnern sich an eine unbeschwerte Kindheit — bis Hitler 1933 an die Macht kam und die Familie aus rassistischen Gründen verfolgt wurde.

Die Jungen mussten auf die Jüdische Volksschule wechseln, mit dem Geschäft verlor die Familie schließlich die Lebensgrundlage. Hunderte Betriebe in der Stadt wurden zu dieser Zeit Juden entzogen und "arisiert", die verbliebenen waren Boykotten und Gewalt ausgesetzt. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurden die letzten Juden aus ihren Geschäften verdrängt.

Zu dieser Zeit mussten die Grossmanns längst um ihr Leben fürchten. Die Eltern beschlossen 1939 schweren Herzens, Gerd und Werner in Sicherheit zu bringen. Da sie nicht nachreisen durften, versuchte Fritz Grossmann eine illegale Flucht nach Belgien, um die Ausreise von dort zu steuern. Er wurde an der Grenze festgenommen und starb im Februar 1940 im KZ Buchenwald. Seine Frau lebte mit Schwiegermutter Rosalie anschließend an der Talstraße. Erhalten ist ein Brief, in dem sie verzweifelt vom Tod ihres Mannes berichtet. "Nun müssen die Jungs ohne Vati aufwachsen." Am 10. November 1941 wurde sie nach Minsk deportiert. Rosalie Grossmann starb 1942 in Treblinka.

Die Brüder mussten ein neues Leben beginnen. Sie lebten bei einer Pflegefamilie, dann in Internaten. Der eine wurde Bäcker, der andere Autoverkäufer. Gerd Grossmann, der sich heute Gerry nennt, besuchte vor einigen Jahren auf der Suche nach Spuren seiner Jugend die Gedenkstätte. Von der aktuellen Debatte hat man ihm nicht berichtet. "Das reißt alte Wunden auf", meint Fleermann. Den Verkauf des Bettengeschäfts will der Gedenkstättenleiter mangels Quellen nicht bewerten. "Bei einem Verkauf im November 1938 schrillen aber bei jedem Historiker die Alarmglocken", sagt er. Die 35-jährige Hönscheidt-Geschäftsführerin Ines Reusch treffe an diesen Ereignissen aber natürlich keine Schuld. "Es geht um die Frage, wie das Geschäft mit der eigenen Geschichte umgeht."

(RP)
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