Fahrgäste stoppten führerlose Straßenbahn in Bonn Aufsichtsbehörde leitet nach Geisterfahrt Ermittlungen ein

Bonn · Nach der Geisterfahrt der Linie 66 in Bonn hat die zuständige Aufsichtsbehörde am Montag ein Verfahren eingeleitet. Die Bahn wurde beschlagnahmt und wird nun untersucht. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Nachdem in Bonn Fahrgäste eine Straßenbahn gestoppt haben, sind einige Fragen offen. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet. In der Nacht zum Sonntag war der Fahrer in der Linie 66 bewusstlos geworden, so dass die Bahn zwischen Siegburg und Bonn führerlos acht Haltestellen passierte, ohne anzuhalten. Passagiere brachen die Fahrerkabine auf und stoppten die Bahn. Es gab – fast schon ein Wunder - keine Verletzten.

Wie geht es dem Fahrer?

Dem 47-jährigen Fahrer, der zwischenzeitlich im Krankenhaus war, geht es nach Angaben der Stadtwerke Bonn (SWB) inzwischen besser. Er habe das Angebot für eine psychologische Erstbetreuung angenommen, so SWB-Sprecherin Veronika John.

Wie funktionieren die Sicherheitssysteme in den Nachbarstädten Köln und Düsseldorf?

Genau wie in Bonn. Die Züge sind alle mit dem gleichen Sicherheitssystem ausgestattet, das in der Straßenbahn-Bau-und-Betriebsordnung (BO Strab) vorgeschrieben ist. Dort heißt es (Paragraf 38): „Personenfahrzeuge müssen eine Sicherheitsfahrschaltung haben, die bei Ausfall des Fahrzeugführers eine Bremsung bis zum Stillstand bewirkt.“ Die BO Strab gilt für alle U-Bahnen, Stadtbahnen und Straßenbahnen in Deutschland.

Die Sicherheitsfahrschaltung, auch Totmannschaltung genannt, überprüft in regelmäßigen Abständen die Wachsamkeit des Fahrers. In den Stadtbahnen muss der Fahrer ein Pedal in einer bestimmten Stellung gedrückt halten. Mit der Hand betätigt er den sogenannten Sollwertgeber, den Hebel also, mit dem die Bahn in Bewegung gesetzt wird. Wird entweder das Pedal oder der Hebel nicht mehr betätigt, ertönt ein akustisches Signal. Reagiert der Fahrer dann nicht, stoppt die Bahn nach fünf Sekunden automatisch. Die Bremswirkung wird aufgehoben, sobald das Pedal wieder betätigt wird.

Wie funktionieren die Notbremsen?

In der Bonner Geisterbahn haben die Fahrgäste vergeblich versucht, die Bahn zu stoppen. Sie betätigten zwar die Notbremsen, dies zeigte aber keine Wirkung. Grundsätzlich ist es so, dass die Notbremse von Fahrgästen gezogen werden kann, wenn die Bahn sich in der Nähe einer Haltestelle befindet, also höchstens acht Sekunden von einem Halt entfernt ist. Dann stoppt die Bahn ohne Zutun des Fahrers. Ist die Bahn in einem Tunnel, einer Unterführung oder auf freier Strecke, funktioniert die Bremsung nicht automatisch, sondern muss vom Fahrer eingeleitet werden. So soll zum Beispiel verhindert werden, dass eine brennende Bahn in einem Tunnel gestoppt wird. Zieht ein Fahrgast die Notbremse, bekommt der Fahrer ein Warnsignal und fragt über Lautsprecher nach dem Grund für das Betätigen der Bremse. Dann fährt er weiter bis zu einer Stelle, wo er die Gäste sicher aussteigen lassen kann, oder zu einer Haltestelle. Da der Fahrer in Bonn aber bewusstlos war, konnte er die Bremsung nicht mehr einleiten.

Warum haben die Stadtwerke nicht den Strom abgestellt?

Die Leitstelle in Bonn erfuhr durch die Polizei, dass bei der Fahrt der Linie 66 etwas nicht stimmte. Eine Sprecherin der Stadtwerke Bonn teilte auf Anfrage mit: „Die Leitstelle hätte dann den Fahrstrom wegnehmen können und damit alle Bahnen im betroffenen Streckenabschnitt zum Stehen bringen können. Die Variante, die Bahn mit Hilfe der Fahrgäste zu stoppen, war unter den gegebenen Umständen die schnellsten.“

Was sagt die Bezirksregierung zu dem Vorfall?

Ein Fachmann der Bezirksregierung Düsseldorf, die als Technische Aufsichtsbehörde (TAB) für alle Straßenbahn- und Obusbetriebe in ganz NRW verantwortlich ist, ist am Montag in Bonn eingetroffen, um die beschlagnahmte Bahn zu untersuchen.

 Die Bezirksregierung Düsseldorf äußerte sich am Montag nur zurückhaltend. „Wir wollen uns ein Bild vor Ort machen“, erklärte Sprecherin Dagmar Groß lediglich. „Wir wollen der Staatsanwaltschaft Bonn nicht vorgreifen.“ Staatsanwaltschaft und Polizei haben Ermittlungen eingeleitet, die beschlagnahmte Bahn steht jetzt in einem Betriebshof in Bonn-Dransdorf.

Erste Reaktionen von Experten und Politikern

Aus dem Aufsichtsrat des SWB-Verkehrsbetriebs kommt harsche Kritik am Unternehmen. „Es kann nicht hingenommen werden, dass bei Stadtbahnen - anders als im Eisenbahnverkehr - die Betätigung der Notbremse lediglich zum Alarmieren des Fahrers führt, aber nicht zum Abbremsen der Bahn“, betonte Verkehrsexperte Rolf Beu (Grüne).

„Der Vorfall wirft viele Fragen auf“, sagte auch Gabi Mayer, die für die SPD im SWB-Aufsichtsrat sitzt. „Wie kann es sein, dass die Notbremse nicht notbremst? Ich glaube, da wird man zu einer anderen Lösung kommen müssen.“ Die Geisterfahrt der Linie 66 sei eine „Katastrophe für die Stadtwerke“.

Teile dieses Textes sind zuerst beim „Bonner General-Anzeiger“ erschienen.

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