Schweiz Ein Ski-Gebiet macht sich fit für die Zukunft

Engelberg liegt in der Mitte der Schweiz. Der Ort garantiert seit mehr als 100 Jahren Schnee im Winter, was zahlreiche Besucher anlockt.

 Blick über das Tal von Engelberg: Dank der Höhenlage ist das Ski-Gebiet bis Mai geöffnet.

Blick über das Tal von Engelberg: Dank der Höhenlage ist das Ski-Gebiet bis Mai geöffnet.

Foto: Engelberg Tourismus

„Es ist wie schweben“, so beschreibt „Snowflake“ – Schneeflocke – seine Leidenschaft für das Skifahren in Engelberg. Der 76-jährige Schweizer ist in der Wintersaison fast täglich auf den Skiern. Und er trägt Weiß, sogar seine Skischuhe und die Skier sind weiß – sein Markenzeichen. Denn in dieser Montur fällt er nicht auf – kann ungestört durch den Tiefschnee – auch wenn die Pistenwache das nicht immer gern sieht. Früher fuhr er stets mit der letzten Gondel hoch, um oben das Alpenglühen zu beobachten und um dann in Ruhe und allein die letzte Abfahrt zu genießen. Snowflake heißt eigentlich Heinrich Giesker, eine Legende in Engelberg – auf und neben der Piste, ohne Mütze, ohne Brille, mit wehendem Haar.

Engelberg ist – nicht nur in Europa – seit mehr als 100 Jahren ein Sehnsuchtsort. Im Winter ist er durch die Höhe praktisch schneesicher, im Sommer mit einer erholsam frischen Bergluft gesegnet. Daher bevölkern seit den 1980er-Jahren auch Reisegruppen aus den USA und Asien Panorama-Gondel und Aussichtsplattformen in 3200 Metern Höhe. Sie sorgen bei den Bergbahnen auch im Sommer für florierende Umsätze.

Aus der Vogelperspektive ist das Bergdorf Engelberg in der Zentralschweiz wie ein zerklüfteter Farbfleck in die exakte Mitte des Alpenstaates gekleckst – mitten in ein Bergmassiv hinein. Und so ist dieses Klosterdorf malerisch in einem Hochtal auf 1000 Höhenmetern reihenweise von Gipfeln und Gletschern umgeben: Über der Dorfstraße leuchtet die Felswand des „Hahnen“ zartrosa im Morgenlicht – wo ein Mönch einen Engel gehört haben will, der ihm gesagt haben soll, um genau hier 1120 ein Benediktiner Kloster zu gründen. Am anderen Ende des Tales thront der Gletscher Titlis über einem Meer aus verschneiten Pisten, zugefrorenen Bergseen, Steilwänden und Gipfeln.

Dieses Gefühl von Freiheit, die Bergkathedralen, Alpenluft, 80 Pistenkilometer, fünf große Freeride-Abfahrten und die gute Anbindung an das europäische Schienen- und Flugnetz bescheren den Schweizern Jahr für Jahr reichlich Besucher. Der mondäne Luftkurort wurde Jet-Set-Treffpunkt für Wintersportler – Profis und Hobby-Skifahrer, Abfahrer und Langläufer und vor allem Freerider – also Tiefschneefahrer abseits der Pisten. Schneemangel? Klimawandel? Bisher mussten die Engelberger bisher nur selten klagen. Die Höhe und die Ausrichtung der Pisten gen Norden ermöglichen Skifahren bis in den Mai. Das Skigebiet Engelberg-Titlis ist mehr als 200 Tage im Jahr geöffnet. „Früher war mehr Schnee“, ist sich Snowflake aber sicher. Auch in Engelberg sind entlang der Pisten Schneekanonen in Stellung, um fehlendes Weiß über Nacht aufzufüllen.

„Die Reisegewohnheiten der Menschen verändern sich“, weiß Frank Kurer. Es wird kurzfristiger und nach Wetterlage gebucht – Urlaub und Arbeit werden oft verbunden. Kurer, der junge Hotelier aus Leidenschaft betreibt in der Dorfstraße das Hotel „Spann­ort“ mit 20 Zimmern und Restaurant und nur wenige Meter weiter Richtung Titlis außerdem das „Grand“ – auch mit 20 Zimmern. Der Clou: In beiden Häusern gibt es weder eine klassische Rezeption noch einen Zimmerschlüssel. Dafür eine gemütliche Gemeinschaftsküche mit Tischen. Und Spielzimmer für Kinder. Gäste checken vorab online in das Gasthaus ein und öffnen ihre Zimmertür mit dem eigenen Handy. Fragen werden mit der dazu gehörigen App per Chat beantwortet.

Und es klappt. „Das ist die Zukunft“, ist Kurer überzeugt, der damit auch für sich das Problem Fachkräftemangel löst. „Ich müsste pro Haus vier Rezeptionisten einstellen, damit sie im Schichtbetrieb arbeiten können.“ Das sei für kleine Hotels kaum zu schaffen. Früher war das Spannort eine Herberge für Angestellte der vielen großen Luxushotels, die hier wie Schlösser vor der Bergkulisse um den Kurpark herum angesiedelt waren. Kurer, der auch Immobilienentwickler ist und sich vor Ort politisch engagiert, will an der Dorfstraße mehrere Häuser bauen – mit günstigem Wohnraum für Angestellte der Tourismusbranche.

1904 startete in Engelberg die erste Wintersaison, mit Eisflächen und Kellnern, die auf Schlittschuhen servierten, mit Rodelbahnen, Curling und vielen britischen Gästen. Der erste Skilift blieb lange defizitär. Die beiden Weltkriege hatten den Grandhotels ein jähes Ende gesetzt: zu wenig Gäste, zu hohe Kosten, zu alte Häuser. Die prunkvollen Kur- und Hotelpaläste wurden abgerissen – nur das Winterhaus nicht. Es glänzt heute wieder – 2021 renoviert als „Kempinski Palace Engelberg“, ein Fünf-Sterne-Hotel im historischen Bau des früheren Grandhotels Winterhaus mit einem neuen Gebäudeteil. Und gegenüber dem Bahnhof vereint das Hotel Bellevue-Terminus Belle Époque und modernes Design, indem es historische Elemente aufnimmt, Farben, Stuck, Sessel, Holzböden – für ein modernes Hotelkonzept.

Engelberg hat sich nach Krisen und den beiden Weltkriegen stets neu erfunden. Aus dem Luftkurort wurde ein Hochleistungs-Ski-Gebiet. Jetzt werden sanftere Töne angeschlagen. Klimawandel, Energiekrise und Fachkräftemangel haben bereits erste Veränderungen mit sich gebracht: Familien-Urlaube stehen im Fokus – im Einklang mit der Natur. Nachhaltig und ressourcenschonend sind die Angebote mit Aufenthalten bei Käsereien, Wanderungen, Schneetouren und vielen Naturerlebnissen.

Außen traditionell, innen digitalisiert: Frank Kurer vor seinem Hotel „Spannort“ in der Dorfstraße von Engelberg

Außen traditionell, innen digitalisiert: Frank Kurer vor seinem Hotel „Spannort“ in der Dorfstraße von Engelberg

Foto: Monika Neiheisser
 Ski-Spaß auf der Talabfahrt am Titlis: Manchmal ist es wie schweben.

Ski-Spaß auf der Talabfahrt am Titlis: Manchmal ist es wie schweben.

Foto: Anja Steinbuch

Mittelpunkt bleibt in Engelberg der 3238 Meter hohe Titlis. Auf seinen Gipfel führt eine sich drehende Panorama-Gondel. Die letzten Meter müssen zu Fuß bewältigt werden. Hier oben steht fünf Gehminuten oberhalb der Gondel-Station ein massiver Turm mit Observatorien und allerlei Technik. Die Star-Architekten Herzog und de Meuron sollen daraus innerhalb der kommenden Jahre ein Ausflugslokal mit allerlei touristischen Angeboten machen. Name: „Titlis 3020“. Die Finanzierung steht. Ein Leuchtturmprojekt und Touristenmagnet für Zeiten, in denen weniger Wert auf Pulverschnee bis ins Tal als auf das Berg-Erlebnis auf 3200 Metern gelegt wird.

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