Künstliche Intelligenz in der Medizin Wenn „Dr. Algorithmus“ assistiert

Düsseldorf · Wissenschaftler hoffen, dass künftig mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz die Medizin in der Breite verbessert werden kann.

 Künstliche Intelligenz kann Hautärzten dienlich sein.

Künstliche Intelligenz kann Hautärzten dienlich sein.

Foto: picture alliance / dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Der Wettstreit zwischen Mensch und Computer erreicht immer neue Gebiete. Bei Schach, Go oder bei Poker hat die künstliche Intelligenz längst bewiesen, dass sie komplizierte Spiele zu lernen vermag und selbst gegen die amtierenden Weltmeister gewonnen. Der Heidelberger Wissenschaftler Holger Hänßle berichtet jetzt über einen Wettbewerb ganz anderer Art. Diesmal traten erfahrene Hautärzte gegen einen von Hänßle geschulten Rechner an. Sie sollten Fotos von auffälligen Leberflecken anschauen und eine Prognose abgeben, ob sich daraus der gefährliche Hautkrebs entwickeln wird. Bei Unsicherheiten konnten die Dermatologen sogar auf zusätzliche Bilder zurückgreifen, so wie sie es in ihrem Praxisalltag auch tun würden. Der Mensch hat auch bei dieser Aufgabe gegen die Maschine verloren. Der Computer erkannte 95 Prozent der Melanome und fand damit mehr Krebsrisiken als die Ärzte, die nur 89 Prozent der Fälle entdeckten.

Die künstliche Intelligenz (KI) benötigte nur eine relativ kleine Zahl an Bildern, um diese hohe Treffsicherheit zu entwickeln. Die Heidelberger Forscher trainierten den Rechner mit mehr als 100.000 realen Leberflecken-Fotos. In jedem Einzelfall wussten die Forscher, ob sich die auffällige Hautstelle zu einem Hautkrebs entwickelt hat. Andererseits sieht der Computer dabei mehr Fotos als ein Mediziner in seinem ganzen Berufsleben. Durchaus denkbar, dass demnächst eine Maschine eine Vorauswahl trifft, welche Fälle sich ein Hautarzt anschauen sollte. Damit könnte vielen Menschen der Gang zum Arzt erspart bleiben.

„Der Computer soll den Arzt nicht ersetzen, sondern seine Entscheidungsfindung erleichtern“, schreibt Hänßle. Stattdessen schaut sich „Dr. Algorithmus“ Bilder an, die mit einer speziellen Handy-App aufgenommen wurden.

„Wir können Ärzte von Routinearbeiten entlasten, die die KI übernehmen wird“, sagt Michael Forsting, Direktor des Instituts für Radiologie an der Uni-Klinik Essen. Er trainiert den Computer in der Auswertung von Ergebnissen einer MRT- oder CT-Untersuchung. Forsting schwört auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Denn Routine und Erschöpfung nach langen Phasen der Konzentration verschlechtere selbst bei erfahrenen Radiologen die Qualität der Arbeit, sagt er. Der Terminus technicus dafür heißt: „satisfaction of search“. Gemeint ist, dass der Arzt eine Auffälligkeit im Bild erkennt, damit zufrieden ist und deshalb nicht nach weiteren Besonderheiten sucht.

Besonders häufig passiert diese Nachlässigkeit bei Verlaufskontrollen: bei Bildern des CT oder MRT, die aufgenommen werden, um die Entwicklung einer Therapie zu verfolgen. Wie hat sich ein Tumorgewebe oder eine Ablagerung entwickelt? Diese Bewertung kann künftig ein Algorithmus übernehmen. Der Radiologe hätte Zeit, um nach anderen Auffälligkeiten wie beispielsweise nach neuen Metastasen zu suchen, die ein Computer (noch) nicht erkennen kann.

Zudem soll die KI jene Ärzte unterstützen, die bestimmte Krankheitsbilder nur selten sehen, und deshalb bei der Diagnostik unsicher sind. Das trifft auf viele Hausärzte zu. Sie könnten von zentral organisierten Diagnose-Computern quasi sofort eine zweite Meinung erhalten und damit für den Patienten beispielsweise die Wartezeit für einen Termin beim Facharzt vermeiden. „Wir haben die große Chance, dass wir damit die Medizin in der Breite verbessern können“, sagt Forsting.

Die Rechner sind immer dann besonders gut, wenn es einen eindeutigen Krankheitsverlauf gibt. Hat der Patient einen Herzinfarkt erlitten oder ein Melanom entwickelt oder nicht? Bei vielen chronischen Krankheiten fehlt der künstlichen Intelligenz jedoch ein Kriterium zur Bewertung der Untersuchungsergebnisse. Generell liegt das Niveau, dass die KI erreichen kann, meist nicht an der Qualität des verwendeten Algorithmus. Der entscheidende Faktor ist die Qualität der Daten. „Wenn wir ein System mit schlechten Daten trainieren, wird es auch schlechte Ergebnisse liefern“, erklärt Michael Forsting. In dieser Beziehung hängt Deutschland anderen Staaten hinterher. Oft ist die Dokumentation einer Untersuchung unzureichend oder Daten sind nicht vollständig, weil die Zusammenführung einzelner Ergebnisse aus Datenschutzgründen nur schwer möglich ist.

Es ist längst Zeit, sich mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Medizin auseinanderzusetzen. Strittige Beispiele gibt es genug: So sollen in den USA die ersten Programme zum Einsatz kommen, die die Wahrscheinlichkeit berechnen, ob ein Mensch seine Erkrankung überlebt. Dadurch sollen die Ärzte einen Hinweis erhalten, ob sie eine Behandlung abbrechen und den Patienten stattdessen zum Sterben nach Hause entlassen. Die Befürworter der Sterbeprognose sehen darin eine Chance, mehr Betroffenen ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Die Gegner wittern Missbrauch und einen klaren Verstoß gegen die Ethik medizinischen Handelns. 

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