Analyse Wie Hollywood Individualismus predigt

Düsseldorf · In Science-Fiction-Filmen wie den "Tributen von Panem" prangert Hollywood totalitäre Klassengesellschaften an. Eigentlich feiern die Filme aber totales Einzelkämpfertum, indem sie rebellische Individuen zu den wahren Helden erklären.

Die Menschen der Zukunft können einem leidtun. Zumindest in der Welt, die Bestseller-Autorin Suzanne Collins in ihrer Roman-Trilogie "Die Tribute von Panem" entwirft, ist die Gesellschaft unerbittlich in Klassen eingeteilt: Es gibt versklavte Arbeiterkasten und eine verschwenderische Bourgeoisie, die in grellem Saus und Braus lebt und sich mit den "Hunger Games" zerstreut, einer perversen Form von Dschungel-Camp, bei der die Lumpenproletarier aus den Unterklassen gegeneinander antreten. Und nur einer überlebt.

Gerade ist der dritte Teil der "Panem"-Verfilmungen in die Kinos gekommen. Darin wird das Leid der Unterdrückten noch einmal ausgiebig vorgeführt: Die Arbeiter leben in einem freudlosen Metropolis, sind der absoluten Willkür preisgegeben und rüsten zur Revolution - angeführt von einer jungen Heldin, die sich bereits zweimal klug dem System widersetzt und die "Hunger Games" überlebt hat. Einsam wird sie ausweglosen Situationen ausgesetzt, doch die fitte, geländetaugliche Kämpferin besteht die Prüfungen, verliebt sich und versucht eine integre Persönlichkeit zu bleiben.

Nachdem die ersten beiden Filme bereits 1,5 Milliarden Dollar eingespielt haben, dürfte auch "Mockingjay Teil 1" ein Millionenpublikum versammeln. Ähnlich wie bereits Anfang des Jahres der Film "Die Bestimmung - Divergent". Auch darin geht es um eine Gesellschaft der Zukunft, die in rigide Kasten unterteilt ist und in der eine junge Frau als Außenseiterin das totalitäre Regime überwindet. Die Filme sind gut gemacht, hochkarätig besetzt, und ihre gesellschaftskritische Botschaft ist leicht zu entschlüsseln: Es geht gegen Tyrannei und Klassengesellschaft, gegen totalitäre Regime, Ausbeutung und eine Einteilung der Welt in Malocher ohne Perspektive und eine dekadente Oberschicht. Es ist nicht schwer, bei Zuschauern Empörung über solche Zustände zu wecken, die wie eine düstere Verheißung wirken. Darum fesseln die Filme emotional und geben ihrem Publikum das erhebende Gefühl, beim Kampf für die gute Sache, für Freiheit und Gerechtigkeit, dabei zu sein.

Doch es gibt Bedeutungsebenen darunter, die weniger offensichtlich, aber durchaus mächtig sind. Und da werden Werte gefeiert, die hervorragend zur Konsumgesellschaft passen. Individualismus zum Beispiel, der als Gegengift zum Totalitarismus gepriesen wird, das Ethos des körperlich fitten, selbstbewussten Rebellen. Dass der in der "Panem"-Welt wie in der dystopischen Stadtgesellschaft von "Die Bestimmung" in Gestalt von Frauen daherkommt, ist auch nur vordergründig emanzipatorisch. Zwar mag es hilfreich sein, wenn junge Frauen im Kino jungen Heldinnen begegnen und mit Hilfe solcher Rollenmodelle ihr Selbstbewustsein stärken. Doch vor allem sind Einzelkämpferinnen zu erleben, die sich in Extrem-Fitnesslabors für den Kampf stählen, die ausgerüstet werden mit der Outdoor-Kleidung der Zukunft und im entscheidenden Moment allein auf sich selbst vertrauen müssen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es gibt nichts spezifisch Weibliches, das diese Frauen zu Heldinnen machte; genauso könnten sie Männer sein. Was zählt, sind ihre Zähigkeit, ihr Wille, ihr Glaube an sich selbst.

Vorbei die Zeiten, da junge Banden ins Abenteuer zogen und jeder in der Gruppe seinen Platz hatte - der eine sportlich, der andere mutig, der dritte ängstlich, aber schlau. Heute sind Einzelkämpferinnen am Start. Auch sie verbünden sich zwar aus strategischen Gründen, sie bilden in der Gefahr ein Team. Doch müssen sie einander ständig belauern, weil die Zeiten so unsicher sind, der Konkurrenzkampf, in den sie gejagt werden, so gnadenlos ist.

Science-Fiction-Filme verhandeln in der Zukunft oft die Ängste der Gegenwart. Und so spiegeln die Kämpfe, die Jennifer Lawrence in den "Panem"-Filmen und die niedlichere Shailene Woodley in "Die Bestimmung" gegen übermächtige Autoritäten austragen, die Furcht der westlichen Gesellschaft vor Überwachungsstaat, Repression und dem Auseinanderdriften der sozialen Klassen. Doch geschieht gerade die soziale Ausgrenzung in der Gegenwart eben nicht durch böse Herrscher, die körperlichen Zwang ausübten. Die Gewalt liegt verborgen in den Verhältnissen, in denen manche von Geburt an gute Chancen haben. Und andere eben nicht.

Erzwungene Konformität ist das Schreckensszenario in den gerade so erfolgreichen Dystopien. Konformität ist auch Gift für die Konsumgesellschaft, die doch davon lebt, dass Menschen glauben, durch bestimmte Waren könnten sie ihre Einmaligkeit beweisen. Individualismus als Lebenssinn.

Filme wie die "Tribute von Panem" sind gute Unterhaltung. Und Spiegel unserer Zeit.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort