Seine Filme sind Deutschland

Der Kölner Dokumentarist Heinrich Breloer feiert heute seinen 70. Geburtstag. Die Doku-Dramen "Die Manns", "Todesspiel" und "Speer und Er" wurden zu nationalen Fernseh-Ereignissen. Seine Art, Dokumente mit Spielszenen zu mischen, ist bis heute unerreicht.

Köln Eigentlich möchte man Heinrich Breloer nur fragen, wie er das gemacht hat. Vor zehn Jahren lief im Fernsehen sein Dreiteiler "Die Manns", und damals dachte man, über Deutschlands heilige Kulturfamilie sei alles gesagt. Aber dann trat gleich zu Beginn Elisabeth Mann Borgese auf, die 82-jährige Tochter von Thomas Mann. Breloer war mit ihr durch Europa gefahren, und auf den Spuren des Vaters, so schien es, reiste sie zurück in der Zeit. Da stand sie also, tippte mit dem Finger ans Haar und sagte: "Ganz besonders gern habe ich diese Partie von seinem Hinterkopf gehabt." Breloer schneidet eine Spielszene dagegen, Armin Müller-Stahl in der Rolle des Thomas Mann nimmt seine Film-Tochter auf den Schoß, und das Kind wendet den Kopf so, dass die Stirn gegen das Ohr des Papas drückt. Wieder sieht man Elisabeth Mann Borgese, sie lacht, und man ist gerührt: Sie lacht wie ein Mädchen.

Heinrich Breloer sitzt an einem langen Tisch in seinem Arbeitszimmer über den Dächern der Kölner Südstadt. Er sagt: "Szenen wie die mit Elisabeth Mann bekommt man erst nach langer Vorarbeit geschenkt. Es geht dann darum, sie einzufassen wie ein Schmuckstück." Das klingt einfach, aber die "Methode Breloer" ist kompliziert, deshalb gelingt es kaum einem Dokumentarfilmer, sie zu kopieren.

Breloer recherchiert jahrelang für seine Projekte, für "Die Manns" ebenso wie für "Todesspiel" über die RAF und "Speer und Er" über das Verhältnis Adolf Hitlers zu seinem Architekten Albert Speer. Er ist Erfinder und Virtuose des so genannten Dokudramas, das Spielszenen, Interviews und Dokumentaraufnahmen zusammenbringt und das scheinbar Bekannte neu erschließt. Sein Thema ist stets dasselbe: Deutschland. Allen Produktionen geht das Literatur- und Aktenstudium voraus. "Ich suche wie ein Jagdhund", sagt Breloer. Im Fall Albert Speers fand er Dokumente, die das Wissen des Generalbauinspektors der Reichshauptstadt um die Judenvernichtung belegen. Als er dessen Kinder damit konfrontierte, entstanden große, schmerzvolle Momente. Speers Tochter Hilde Schramm wurde mit ihren Ahnungen und Befürchtungen, mit verdrängtem Wissen konfrontiert. "Kann ich mir das kopieren?", entgegnete Schramm, und man wusste, da kämpft jemand mit der Wahrheit. Sie wurde zur Stellvertreterin einer Generation. Wie ein "nationaler Exorzismus" wirke der Film, schrieb denn auch die "FAZ".

Vor die Bücherregale im Arbeitszimmer hat Breloer Schienen legen lassen und darauf bewegliche Regale montiert. Hörbücher stehen auf den Brettern: Theodor Fontane, Franz Kafka, Peter Kurzeck. Er lasse sich abends lieber vorlesen, als schlechte Sendungen im Fernsehen zu schauen, sagt Breloer. Über den Büchern glänzen die Auszeichnungen: Bambi, Goldene Kamera, Grimme-Preis und Emmy. "Meine Filme bilden einen Suchprozess ab. Ihnen gehen Forschungsreisen voraus, das ist suchendes Fernsehen im Gegensatz zum behauptenden Fernsehen."

Zu den Treffen mit seinen Kronzeugen bringt Breloer Unmengen Materials mit, auch Tonbänder und Videos. Im richtigen Moment spielt er sie ab. Die Interviews sind stets für mehrere Tage angesetzt, ohne Unterbrechung läuft die Kamera. Breloer ist ein Meister der psychologischen Gesprächsführung. Er fragt zunächst, was sein Gegenüber von einem Menschen denkt. Mit der ersten Antwort gibt er sich nicht zufrieden, er fragt weiter, rückt auf die Pelle: Aber warum steht hier, dass dieser Mensch ganz anders gewesen sein soll? Danach sei er "total fertig", sagt Breloer. Er spricht gern über seine Arbeit, er spricht schnell, kommt vom Hundertsten ins Tausende. Es sind viele Eindrücke in seinem Kopf, so viele Erlebnisse, und alle wollen heraus.

Wie also gelingt eine Szene wie die mit Elisabeth Mann? "Der dokumentarische Teil – das sind bei einem Fluss Breite und Tiefe – ist das Ampère. Das Spiel ist wie Volt, die Flussgeschwindigkeit. Zusammen kann das Starkstrom ergeben." Die "Manns" können als Idealfall des Doku-Dramas gelten: großartige Schauspieler, aufschlussreiche Dokumente und eine faszinierende Gewährsperson. "Elisabeth Mann war wie eine Kamera, die für mich durch die Vergangenheit ging", sagt Breloer. Seine Filme haben eine offene Form. "Erst im Schneideraum weiß ich, was ich gedreht habe und was für ein Film daraus werden kann. Wenn das Zusammenspiel von Dokument und Inszenierung stimmt und klingt, entsteht mehr als ein Abbild. Es erzählt vom Geheimnis des Lebens."

Neben dem Tisch im Arbeitszimmer stehen ein halbes Dutzend Stahlkoffer. Sie wurden am Morgen aus Augsburg geliefert: Fotos und Dokumente zum jungen Bertolt Brecht, Material für Breloers nächstes Filmprojekt. Den Hollywood-Star Ryan Gosling würde er gern für den Dichter-Rebellen in Lederjacke besetzen, sagt er. Aber wahrscheinlich ist der zu teuer.

Zum Abschluss wüsste man gern noch dieses: Als was möchte er zu seinem 70. Geburtstag am liebsten geehrt werden? Breloer lächelt. Er sagt: "Als Erzähler."

(RP)
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