Essayband zeigt Verstrickungen auf Musikforscher dienten den Nazis

Düsseldorf · Ein Essayband weist die Verstrickungen rheinischer Musikwissenschaftler in den Geist des Nationalsozialismus nach. Angeblich unschuldige Musik wurde zum Gegenstand nationalistischen und rassistischen Gedankenguts.

Als Duisburg im Bombenhagel unterging
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Adolf Raskin, der hochbegabte Musikwissenschaftler aus Köln, der über den Flötisten Quantz promoviert hatte, genoss das maximale Vertrauen von Joseph Goebbels. Auf Raskins überparteiliche Gründlichkeit und Schlauheit war schon Verlass gewesen, als er beim Westdeutschen Rundfunk in Köln die Qualität des Hörfunkjournalismus auf ungeahnte Höhen katapultiert hatte. Als Herr über die Geheimsender wurde der gelernte Musikkritiker Raskin für die deutsche Propaganda in frühen Kriegsjahren unentbehrlich.

Es entstand die groteske Situation, dass die französische Bevölkerung mit tückischen Meldungen des in der Nachbarsprache sendenden NS-Rundfunks früher über den Stand der Kampfhandlungen informiert war als durch den eigenen Rundfunk; das führte zu militärisch-strategischen Verwerfungen sondergleichen. Für die deutschen Kriegspläne war es ein Schlag, dass Raskin 1940 bei einem Flugzeugabsturz bei Dresden ums Leben kam. Ein strammer Nazi war er mitnichten. Der dem katholischen Zentrum entstammende, im Jahr 1900 in Köln geborene Rundfunkmann warf sogar Rundfunkleute mit Parteibuch aus dem Amt, wenn sie schlechte Arbeit leisteten, und legte sich öffentlich mit Gauleitern an. In Uniform wurde er zeitlebens nicht gesehen.

Dieser freie Geist war völlig untypisch für die Zunft des Musikwissenschaftlers in der Zeit des "Dritten Reichs". Auch diese erhabene Disziplin hatte sich 1933 mit einer gewissen Widerstandslosigkeit gleichschalten lassen; Aspekte des "Völkischen" und "Rassischen" konnten über die emotional umstrickende Botin Musik leicht transportiert werden. Die an Universitäten und Hochschulen lehrenden Musikwissenschaftler mussten aber auch schmutzige Arbeit leisten, nicht wenige taten es bereitwillig, ohne Auftrag, wie das neue und exzellente Buch "Musikwissenschaft im Rheinland um 1930" nachweist.

So tilgte Ludwig Schiedermair, der langjährige Ordinarius an der Uni Bonn, jüdische Komponisten aus seinem mehrfach edierten Standardwerk "Die deutsche Oper" erst, als Hitlers Zeit gekommen war. Nicht alle Musiker mussten dran glauben; um den berühmten jüdischen Komponisten Giacomo Meyerbeer kam auch Schiedermair nicht herum, doch im Gegensatz zur Erstfassung von 1930 eliminierte Schiedermair — überaus bezeichnend — den Begriff von Meyerbeers "Heimat Berlin". Ein weiterer Vergleich: Aus "Meyerbeer begann mit deutschen Opern" (1930) wurde "Er begann mit Opern auf deutsche Texte" (1940); und war Arnold Schönberg 1930 noch ein "Wiener", so war er 1940 nur noch ein "J" — für Jude.

Ein gravierender Fall war der in Köln lehrende Ernst Bücken, der nicht nur — vermutlich wider besseres Wissen — musikgeschichtlich absurde Urteile fällt, sondern auch eine Denunzianten- und Schmähhaltung gegenüber Kollegen einnahm, die erstaunlich ist. Vor allem leistete sich Bücken bereits 1924 einschlägige Urteile gegenüber jüdischen Komponisten wie Gustav Mahler, dem er einen "Mangel an Vornehmheit und Gewähltheit der Themen und Melodien" vorwirft, was so absurd ist, als hielte man einem 100-Meter-Läufer einen Verlust an Gravität der Bewegung vor. Nebenbei imponiert eine nationalistische Gesinnung, die Bücken etwa über Schumanns Eichendorff-Liederkreis op. 39 sagen lässt: "Niemals, nicht vorher und nicht später, hat der volle Glanz einer aus Waldduft und Scholle gesogenen, ganz und gar unliterarischen Naturpoesie so warm und echt das deutsche Lied überstrahlt wie hier." Diese Lyrik war deutlich mehr nach dem Geschmack Bückens als die "Dichterliebe" des dichtenden Juden Heinrich Heine.

Selbstverständlich war im Urteil damaliger Musikologen die angebliche Degeneration der modernen Musik mit der Herkunft ihrer Komponisten vergesellschaftet. So schrieb der Düsseldorfer Musikwissenschaftler und -journalist Werner Karthaus, dass die "große Zahl der atonalen Musiken" von "nichtdeutschen Komponisten" geschrieben worden sei. Konkreter wurde Karthaus, als er 1937 die Rassentheorie der Nazis antizipierte und über Richard Wagner schrieb: "Wagner hat rassisch gedacht." Damit erwies sich Karthaus als linientreu und "leistete seinen Beitrag zur politisch konformen Ausrichtung des lokalen Musiklebens sowie letztlich zum ,Aufstieg' Düsseldorfs zur ,Stadt der Reichsmusiktage'", wie die Musikforscherin Yvonne Wasserloos jetzt schreibt.

So ging die Unschuld der Kunst in der unverdächtigen Stille der Seminare und Schreibmaschinen zugrunde, derer sich die meisten Musikwissenschafter jener Zeit bedienten. Oder anders: Sie wurde überführt in eine Denksphäre, in der auch andere, allerdings körperlich vernichtende Gedanken geboren wurden. Dieses Buch erzählt diskret, bestechend analytisch und mit präziser Recherche von den Tätern und Mitläufern, die — jeder für sich — am großen Werk Adolf Hitlers fleißig mitbastelten.

(RP/csi)
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