Washington Käßmann über christlichen Widerstand

Margot Käßmann hat einen publizistischen Ausflug gemacht. Die theologisch-lebenshilflichen Werke der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland zählen nach Dutzenden. Ihr neues Buch aber, "Gott will Taten sehen", sticht heraus: Es ist ein historisches Lesebuch mit Zeugnissen zum christlichen Widerstand gegen die Nazis.

Käßmann als Herausgeberin lässt dabei schon in der Einleitung keinen Zweifel, dass sie die Rolle beider großen Kirchen nach 1933 kritisch sieht. Von einer "Anpassung der Institution" an das Regime ist die Rede; selbst die im Protestantismus allgemein hochverehrte Bekennende Kirche wird nicht geschont, die zwar zur Opposition gegen staatlichen Allmachtsanspruch gefunden, aber angesichts der Ermordung von Juden, Behinderten und Homosexuellen "keine inhaltliche Hilfestellung gegeben" habe.

Dass dementsprechend die Wege auch in den christlichen Widerstand oft verschlungen waren, zeigt die Sammlung deutlich. Da sind die gleichsam kanonischen Klassiker wie Edith Stein, Dietrich Bonhoeffer und Clemens August Graf von Galen; da sind aber auch Figuren der zweiten Reihe wie der Berliner Pastor Helmut Gollwitzer, der es in einer Predigt am Buß- und Bettag 1938 – die dem Buch den Titel gab – wagt zu sagen: "Gott will Taten sehen. Nun wartet draußen unser Nächster, notleidend, schutzlos, ehrlos, hungernd, gejagt und umgetrieben von der Angst um seine nackte Existenz, er wartet darauf, ob heute die christliche Gemeinde wirklich einen Bußtag begangen hat." Gollwitzer wird verhaftet, aber er überlebt.

Im Krieg steigert das Regime seinen Terror; immer öfter geht es jetzt gleich um Leben und Tod. Sätze wie die des Verschwörers Hans von Dohnanyi von 1943 zeigen, wie einsam die Entscheidung gegen Hitler sein konnte: "Was wissen die Millionen draußen", schreibt Dohnanyi an Karfreitag aus dem Gefängnis an seine Frau, "was Freiheit ist!" Dohnanyi wird noch am 9. April 1945 von den Nazis ermordet.

Das alles ist bedrückend, beeindruckend auch, und verdienstvoll wird die Zusammenstellung dadurch, dass Käßmann auch diejenigen zu Wort kommen lässt, die in der "großen Geschichte" oft keinen Platz haben – den Buchhalter Theodor Roller zum Beispiel, der Hitler per Brief einen Lügner nennt, oder die Berliner Lehrerin Elisabeth Schmitz, die 1935 eine Denkschrift zur Not der Juden verfasst.

Käßmann wäre aber nicht Käßmann, wenn sie nicht übers Ziel hinausschösse. Die Katholiken sieht sie allzu simpel als doppelt gehandicapt, weil sie sich nicht nur gegen den Staat, sondern auch gegen ihre Kirche hätten stellen müssen – und übersieht dabei, dass die Nazis in katholischen Milieus oft die größten Schwierigkeiten hatten. Schwerer aber wiegt eine Begriffsverwirrung. "Widerstand gegen staatliches Handeln", schreibt Käßmann, "gab es auch nach 1945 in Deutschland" – und sie meint nicht nur die DDR, sondern etwa auch den erbitterten Streit im Westen um die Nachrüstung Anfang der 80er Jahre.

Bei allen widerständigen Christen macht Käßmann eine "Haltung der Verantwortung"aus – hatte die die damalige Bundesregierung etwa nicht, wenn auch aus anderer (partei-)politischer Überzeugung als die Friedensdemonstranten? Mit diesem undifferenzierten Widerstandsbegriff kommen sich Dinge nahe, die sich nicht nahekommen sollten.

(RP)
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