Französischer Schauspieler Der große Michel Piccoli ist tot

Paris · Am besten war Piccoli als Abgesandter aus den Abgründen des Bürgertums. Er spielte in „Die Dinge des Lebens“, „Trio Infernal“ und „Das große Fressen“. Nun ist der Franzose 94-jährig gestorben.

Einer der schönsten Film, die Michel Piccoli je gedreht hat, ist überhaupt einer der schönsten Filme der Welt. Er heißt „Die Dinge des Lebens“, er kam 1970 ins Kino, und wer sich etwas Gutes tun möchte, schaue sich die ersten zehn Minuten noch einmal an, nicht mehr allerdings, denn danach wird es ziemlich traurig. Am Anfang sieht man also Piccoli mit Romy Schneider in einem Apartment, es ist Morgen, und er muss weg und sie an die Schreibmaschine. Bevor sie sich vor die Tasten setzt, tippt er heimlich was aufs eingespannte Papier, ein paar Buchstaben nur, dann ist er fort. Und als sie sich endlich über das Blatt beugt und liest, was er geschrieben hat, muss sie lächeln. Und der Zuschauer muss auch lächeln, denn er ahnt natürlich, was da steht, denn das hier ist Frankreich: „Je t’aime“.

Michel Piccoli ist an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben, er wurde 94 Jahre alt, und er war einer der größten Schauspieler, die das europäische Kino hervorgebracht hat. Piccoli spielte in vielen der maßgeblichen Produktionen des französischen Autorenfilms: „Belle de Jour“, „Das Mädchen und der Kommissar“, „Topas“, „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“, „Mado“, „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“, „Das große Fressen“, „Trio Infernal“. Er drehte mit Hitchcock und Chabrol, mit Godard und Bunuel. Er stand auf der Bühne in Regiearbeiten von Peter Brook, Patrice Chereau, Robert Wilson und Luc Bondy. Und ihm ging es nie darum, vom Publikum geliebt zu werden. Dafür liebte er seinerseits das Publikum zu sehr. Er wollte ihm einen größeren Gefallen tun: Er wollte es in Erstaunen versetzen.

Piccoli achtete streng darauf, dass von seinem Privatleben so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit gelangte. Man weiß kaum etwas von ihm, nur dass eine seiner drei Ehefrauen Juliette Greco war und dass er sich mit Sartre und Beauvoir blendend verstand. Das genügte, meinte er, denn er hatte die Sorge, dass passiert, was bei heutigen Stars, vor allem jenen aus Hollywood, allzu oft der Fall ist: dass die Bilder und Geschichten aus den bunten Blättern die Rollen überlagern, die Fabel des Films verwässern und die Identität des Darstellers schließlich seine Figur überschattet und also den Film verfälscht.

Piccoli wurde 1925 in Paris geboren, seine Eltern waren Musiker. 1944 spielte er seine erste Filmrolle, und berühmt wurde er 1963 in „Die Verachtung“ an der Seite der Bardot. Bis zuletzt trat er auf, etwa in „Holy Motors“ von Leos Carax. Er strahlte dabei etwas zutiefst Französisches aus. Die FAZ schrieb mal, man könne ihn sich überhaupt nicht in Hollywood vorstellen, und das stimmt. Dafür waren seine Grandezza zu geheimnisvoll, sein Spiel zu wenig auftrumpfend, seine Ruhe zu unheimlich und seine Botschaft zu existenziell.

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Foto: AP/Carlo Fumagalli

„Ich mag wilde Geschichten“, hat Michel Piccoli gesagt. Seine großen Auftritte hatte er denn auch zumeist als Gesandter aus den abgründigen Randbezirken des Bürgertums. Er konnte besonders gut Trenchcoat-tragende Geschäftsmänner und Geheimräte spielen, die hinter der seriösen Fassade ihre Perversionen, Obskuritäten und Grenzüberschreitungen pflegten.

„Das Kino schafft für unseren Blick eine Welt, die auf unser Begehren zugeschnitten ist“, heißt es in „Die Verachtung“.

In dieser Welt war Michel Piccoli der König.

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