Film-Kritik Melinda und Melinda: Doppeltes Leidchen

Ohne Intellektuelle geht es bei Woody Allen nicht. Der Altmeister des New Yorker Films wirft auch in seinem neuesten Streifen, "Melinda und Melinda", die philosophische Frage auf, ob das Leben eher zum Lachen oder zum Weinen ist. In langen Diskussionen voller imaginär entwickelter Situationen wollen Stammtisch-Freunde herausfinden, wie es um ihr Leben steht. Doch dann platzt "Melinda" in die Runde.

Meldina und Melinda
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Meldina und Melinda

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Foto: Twentieth Century Fox

In der Moll-Variante ist Melinda, die jeweils von Radha Mitchell gespielt wird, eine jener Hysterikerinnen wie sie Allen so liebt: Gerade geschieden, von ihrem Liebhaber verlassen, ihrer Kinder gerichtlich beraubt, stürmt sie völlig aufgelöst in das Appartement ihrer Jugendfreundin Laurel, die ein Diner für einen reichen Gönner veranstaltet, der das Theaterstück ihres Ehemanns Lee finanzieren soll. In der zweiten Variante ist Melinda eine flotte Nachbarin, die aus Liebeskummer 28 Schlaftabletten geschluckt hat und in die Wohnung der Filmemacherin Susan stolpert, die mit dem arbeitslosen Schauspieler Hobie verheiratet ist.

Auch dieses Paar versucht, einen reichen Geschäftsmann dazu zu bringen, Susans neuen Film "Kastrations-Sonate" zu produzieren. Das ist Woody Allen pur, und natürlich lässt Hobbykoch Hobie in der komischen Version vor lauter Aufregung darüber, dass Melinda sich auf den Teppichboden erbricht, den Seebarsch verkohlen. Es entwickeln sich nun zwei parallele und höchst unterhaltsame Erzählstränge, in der Melinda jeweils an einen Zahnarzt - mal langweilig und nett, mal protzig - verkuppelt werden soll, sich in einen schwarzen Pianisten verliebt und zum Katalysator von Ehebrüchen wird. Und wie gewohnt besitzt Allen die Großzügigkeit, verkannten Talenten Rollen zu bescheren.

Ein Lehrfilm über die "Fabrikation" von Humor

Etwa Will Ferrell, der bisher nur in schlechten Klamotten zu sehen war: als Allens Alter Ego blüht der bärige Komiker förmlich auf, wenn er tollpatschig um die heimlich verehrte Melinda tapst und sich in selbstironischem Gestammel verheddert. Auch die ewigen Geheimtipps Amanda Peet als ehrgeizige Filmemacherin und ihr schwermütiges Pendant - Chloë Sevigny - als herzige Laurel dürfen Allen dankbar sein. Die blonde Australierin Radha Mitchell, bisher meist als kummervolle Nebenrollen-Ehefrau zu sehen, glänzt ebenso als Masochistin am Rande des Nervenzusammenbruchs wie als leichtlebiger Single.

Aber ihre Auftritte als trinkendes, tablettensüchtiges Wrack haben ohne ihre Schuld einen latent lächerlichen Touch - eben weil auch Nicht-Cineasten wissen, dass Allen solche Gemütszustände seit Jahrzehnten durchbuchstabiert und in der nächsten Szene eine Melinda zeigen wird, die das Leben auf die leichte Schulter nimmt. Die Ironie ist stets inbegriffen im Universum des Selbstplagiators Allen, da mag er noch so schwelgerisch die existenzialistische Schwermut seines großen Vorbildes Ingmar Bergman und anderer europäischer Autorenfilmer nachempfinden.

Allen ist und bleibt der Meister der sogenannten "leichten Muse", die viel anspruchsvoller ist als das tragische Fach. Wie Allen das Schwere leichter macht und wie ein Jazzkomponist zwischen Dur und Moll improvisiert, das kann niemand so gut wie er. Die virtuose Fingerübung mit der doppelten Melinda ist geradezu ein Lehrfilm über die "Fabrikation" von Humor und beschert Allen, der sich zuletzt in immer zynischere Filme verrannte, hoffentlich das verdiente Comeback.

(ap)
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