Überraschung in England Erfolgsmodell Vier-Tage-Woche

Analyse | London · Reduzierte Arbeitszeit bei vollem Lohn – kann das klappen? Durchaus, wie ein Pilotprojekt in Großbritannien zeigt. Dabei kommt es allerdings auch auf das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an.

Ein Supermarkt in Großbritannien. (Symbol, Archiv)

Ein Supermarkt in Großbritannien. (Symbol, Archiv)

Foto: dpa/Jacob King

Reduzierte Arbeitszeit bei vollem Lohn – kann das aus Sicht der Unternehmen funktionieren? Durchaus, wie ein Pilotprojekt aus Großbritannien zeigt: Dem Personal eine Vier-Tage-Woche ohne Gehaltskürzungen zu ermöglichen, führt demnach zu einer glücklicheren Belegschaft. Außerdem kann dabei gleichzeitig der Umsatz erhöht werden, haben Forscher der Universität Cambridge und des Boston College herausgefunden.

Organisiert von der Lobbyplattform „The 4 Day Week“ mit der Denkfabrik „Autonomy“ und britischen und US-Wissenschaftlern, umfasste das weltweit bisher größte Pilotprojekt dieser Art rund 2900 Beschäftigte in 61 britischen Unternehmen und Organisationen. Es lief von Juni bis Dezember 2022. Dabei blieb es den Arbeitgebern überlassen, wie sie bei gleichem Gehalt die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit um 20 Prozent gestalteten, wenngleich die Mehrzahl eine Vier-Tage-Woche mit wechselnden freien Tagen einführte. Die Versuchsteilnehmer kamen aus völlig unterschiedlichen Branchen – Finanzdienstleister, Restaurants, ein Animationsstudio, selbst ein Fish-und-Chips-Imbiss war darunter.

Am Ende der Versuchsphase erklärten 56 der 61 beteiligten Firmen, dass sie die Vier-Tage-Woche weiter ausprobieren wollen, 18 erklärten die Umstellung für permanent. Eine wesentliche Rolle dürfte gespielt haben, dass die Produktivität nicht gesunken ist. Die Studie ermittelte eine durchschnittliche Erhöhung der Umsätze um 1,4 Prozent. Aber vor allem für das Wohlbefinden der Arbeitnehmer brachte die Umstellung, so die Studie, „umfangreiche Vorteile“.

39 Prozent der Beschäftigten berichteten, weniger gestresst zu sein, und 71 Prozent gaben einen Rückgang von Burn-out an. Der Krankenstand fiel um fast zwei Drittel, und die Zahl der Kündigungen nahm um mehr als die Hälfte ab. Mitarbeiter berichteten, dass sie besser schlafen könnten und keine Panikattacken mehr hätten. Die Verbesserung der Work-Life-Balance habe zum Verschwinden der „Sonntagsangst“ geführt: Stattdessen, gaben Arbeitnehmer an, käme man am Montag motivierter zum Dienst.

Das kann auch Simon Ursell, Direktor beim Umwelt-Beratungsunternehmen Tyler Grange, bestätigen. Natürlich, meint er, sei es eine Herausforderung, bei 100 Prozent Lohn und 80 Prozent Arbeitszeit dennoch eine Produktivität von 100 Prozent zu erreichen. Doch es werde möglich, wenn die Belegschaft das wolle. „Wenn man den Mitarbeitern diesen unglaublichen Anreiz gibt, einen ganzen Tag weniger arbeiten zu müssen“, sagte Ursell, „dann arbeiten sie wirklich hart, damit es funktioniert.“ Jetzt sieht er bei seinem Unternehmen einen Produktivitätszuwachs. Die Krankenstände seien zudem um zwei Drittel zurück- und die Bewerbungen in die Höhe gegangen. Auch Mark Downs, der Geschäftsführer der „Royal Society of Biology“, freut sich über eine erhöhte Produktivität. „Während der Versuchsphase gab es eine Abnahme der Fehlzeiten. Vorher meldete sich ein Mitarbeiter durchschnittlich vier bis fünf Tage pro Jahr krank. Jetzt sind es weniger als zwei Tage. Ich denke, das ist ein bedeutender Unterschied.“

„Vor dem Pilotprojekt“, sagte der die Forschungsstudie leitende Professor Brendan Burchell, Soziologe an der Universität von Cambridge, „haben viele bezweifelt, dass wir einen Anstieg der Produktivität sehen würden, um die Reduzierung bei der Arbeitszeit auszugleichen. Aber genau das ist passiert. Viele Angestellte waren sehr daran interessiert, selbst Effizienzgewinne aufzuspüren. Lange Arbeitstreffen wurden gekürzt oder ganz gestrichen. Arbeitnehmer waren viel weniger geneigt, Zeit zu schinden, und haben aktiv versucht, Technologien zu finden, um ihre Produktivität zu erhöhen.“

Der britische Historiker Cyril Northcote Parkinson hat einmal das nur halbwegs ironisch gemeinte „Parkinsonsche Gesetz“ aufgestellt, das besagt, dass Arbeit sich genau in dem Maße ausdehnt, wie Zeit zu ihrer Erledigung zur Verfügung steht. Sollte der Umkehrschluss gelten, scheint die Einführung einer Vier-Tage-Woche die Antwort auf das Problem zu liefern: Eine Verkürzung der Arbeitszeit würde sozusagen automatisch zur Erledigung aller Aufgaben führen. Doch das wäre wohl zu kurz gedacht. Entscheidend dürfte die Bereitschaft der Arbeitnehmer sein, Produktivitätsgewinne zu liefern. Für Großbritannien ist dies besonders wichtig, denn das Land hat ein Problem mit der Produktivität: Während sie zwischen 1974 und 2008 jährlich um durchschnittlich respektable 2,8 Prozent wuchs, beträgt sie seit der weltweiten Finanzkrise nur noch durchschnittlich rund ein halbes Prozent pro Jahr. Britische Ökonomen haben ausgerechnet, dass im Jahr 2021 pro Arbeitsstunde 46,92 Pfund generiert wurden, während es vergleichsweise in den USA 58,88 Pfund und in Deutschland 55,83 Pfund sind.

Die Vier-Tage-Woche als Antwort auf das britische Produktivitätsproblem klingt gut, aber es gibt durchaus Einwände gegen die Ergebnisse des Pilotprojekts. Zum einen mag es das bisher größte seiner Art sein, aber es umfasst nur 61 Unternehmen und Organisationen und ist daher nicht sehr repräsentativ. Und es ist zudem auch deswegen nicht repräsentativ, weil die Teilnehmer freiwillig dabei waren, sich aus eigenem Antrieb gemeldet haben und daher von vornherein am besten geeignet gewesen sein könnten, um Nutzen aus einer Arbeitszeitverkürzung zu ziehen.

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