Athen Schicksalswahl in Griechenland

Athen · Am Sonntag wählen die Griechen ihr neues Parlament – Favorit ist der Linkssozialist Alexis Tsipras, der als möglicher "Sprengmeister Europas" gilt, weil er das Sparpaket kippen will und damit den Euro-Austritt provozieren könnte. Der konservative Gegenkandidat Antonis Samaras tritt zwar weniger polemisch auf – doch zum Chaos hat er auch viel beigetragen.

Stünde Griechenland nicht vor der Pleite und würde ein Zusammenbruch des Staates nicht die Euro-Zone bedrohen, müsste man Alexis Tsipras ja fast einen Wahlsieg am Sonntag wünschen: Erstmals hätten die Griechen mit dem 37-jährigen Bauingenieur einen Regierungschef, der nicht aus einer der beiden massiv in Korruption und Misswirtschaft verwickelten alten "Staatsparteien" Neue Demokratie (Konservative) und Pasok (Sozialdemokraten) stammt. Erstmals würde mit dem früheren Studentenpolitiker ein Mann Premierminister, der begeisternde Reden halten kann und äußerst sympathisch auftritt – der einzige Gegenkandidat mit Erfolgschancen, der 61-jährige Konservative Antonis Samaras, versteckte sich dagegen monatelang aus Angst vor Anschlägen und wegen mangelnder Redefähigkeit in kleinen Veranstaltungen.

Tatsächlich wäre ein Wahlsieg von Tsipras und seiner Syriza-Partei aber der Sieg eines Demagogen, der auf volles Risiko geht. "Wenn ich der Bank 5000 Pfund schulde, habe ich ein Problem. Wenn ich der Bank aber 500 000 Millionen schulde, hat sie ein Problem", sagt er kaltschnäuzig und will bei einem Wahlsieg die Rückzahlung aller Kredite des Landes erst einmal aussetzen.

Dem Volk suggeriert der immer mit offenem Hemd auftretende Vater eines Kindes auf den Marktplätzen von Athen, Patras oder der Inselstadt Chios, dass das Land ohne Konsequenzen die Umsetzung der mit EU und IWF vereinbarten Spar- und Reformbeschlüsse aussetzen kann. Das brachte der bis dahin völlig unbedeutenden Syriza-Partei bei der Neuwahl am 6. Mai bereits 16,7 Prozent der Stimmen. Und obwohl Tsipras eigentlich für eine konsequentere Besteuerung Wohlhabender eintritt – worauf übrigens EU und Deutschland auch drängen – will er die neu eingeführte Immobiliensteuer kippen. Im Klartext: Die einzige Steuer, die dem Staat halbwegs einfach und gerecht Geld einbringen kann, soll weg – mit sozialer Politik hat das nichts zu tun, viel aber mit Wahlkampf um jeden Preis im Steuersünderstaat Griechenland.

Absurderweise ist Gegenspieler Samaras mit Schuld daran, dass Tsipras so gute Chancen hat. Als im Herbst die noch dominierende sozialistische Pasok die Stimmen der Konservativen für das Sparpaket brauchte, erzwang Samaras vorzeitige Neuwahlen. Er wollte nach 35 Jahren als Berufspolitiker endlich Premierminister werden. Doch Syriza wurde unerwartet statt der Pasok zweitstärkste Partei und blockiert mit anderen Spargegnern seitdem eine Wahl von Samaras.

Außerdem könnte eine frühere Wahlrechtsmanipulation von Konservativen und Pasok nun die Linkssozialisten an die Macht bringen. Die stärkste Partei im Parlament kriegt 50 Mandate zusätzlich "geschenkt". Das hatten Konservative und Pasok ausgeheckt, um sich die jeweilige Macht ohne Kleinparteien zu sichern. Falls die frühere Mini-Partei Syrizia nun aber vorne liegt, wird sie die 50 Sitze bekommen – der Weg zur Macht wäre frei.

Wie geht es nach dem Wahltag weiter? Samaras hat angekündigt, bei einem Sieg das Sparprogramm zu ändern. Um ihn zu stützen, wird man Kompromisse finden. Die große Frage ist, ob Tsipras zu Kompromissen bereit wäre, wenn er gewählt würde. "Ich werde Euch nie verraten", tönte er im Wahlkampf. Aber er versprach auch, dass Griechenland im Euro bleibt. Bei Treffen mit EU-Diplomaten trat er in den vergangenen Wochen betont vorsichtig auf. Bahnt sich da ein Wandel vom Straßenkämpfer zum realpolitischen Außenpolitiker an? Das wäre wie bei Joschka Fischer.

(RP)
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