Arme leiden unter Preissteigerungen Versorger drehen immer mehr Haushalten den Strom ab

Berlin · Die Energieversorger haben 2017 wieder deutlich mehr privaten Haushalten den Strom abgedreht. 2019 kann sich der Trend fortsetzen, denn die Strompreise im Basistarif steigen zu Jahresbeginn um rund fünf Prozent.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU, links) und Sozialminister Hubertus Heil (SPD)  auf der Regierungsbank im Bundestag.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU, links) und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) auf der Regierungsbank im Bundestag.

Foto: dpa/Jan Woitas

Die Zahl der privaten Haushalte, denen vorübergehend der Strom abgestellt wurde, weil sie die Stromrechnung nicht bezahlen konnten, ist im vergangenen Jahr wieder deutlich angestiegen. Bei den teureren Grundversorgern nahm die Zahl der Stromsperren um 11.773 gegenüber 2016 auf insgesamt 330.242 im Jahr 2017 zu. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage des Grünen-Abgeordneten Sven Lehmann hervor. 2016 war die Zahl der Stromsperren dagegen noch spürbar um rund 31.000 gesunken. „Etwa die Hälfte aller von Stromsperren betroffenen Haushalte bezieht Leistungen der Mindestsicherungssysteme“, schreibt das Wirtschaftsministerium. Ein Großteil von ihnen sind demnach Hartz-IV-Haushalte.

Allerdings ließen sich die Gründe für die Stromsperren nicht nur auf Einkommensarmut reduzieren, meint die Bundesregierung. Oftmals lägen „multiple Problemlagen“ vor, wie plötzliche Veränderungen im Lebensumfeld oder eingeschränkte Finanz- und Planungskompetenzen. Hinzu kommt, dass die Strompreise 2017 gegenüber 2016 gestiegen waren. Eine dreiköpfige Familie mit einem Jahresstromverbrauch von 4000 Kilowattstunden musste 2017 im Durchschnitt des Grundversorgertarifs 1128 Euro bezahlen, während im Jahr davor erst 1097 Euro fällig geworden sind. Im laufenden Jahr gingen die Preise zunächst zurück, seit Jahresmitte ziehen sie jedoch wieder deutlich an, wie das Preisvergleichsportal Verivox ermittelt hat.

2019 werde sich der Preistrend nach oben fortsetzen, prognostizieren die Energieexperten. Insgesamt erhöhten 429 Grundversorger und damit mehr als die Hälfte aller Grundversorger ihre Preise zum Januar oder zum Februar 2019 um rund fünf Prozent, erklärte ein Verivox-Sprecher. „Für eine Familie mit einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden sind das Mehrkosten von mehr als 50 Euro im Jahr 2019.“

Ursache der kommenden Strompreiserhöhungen sind höhere Beschaffungskosten der Energieversorger. Da die Rohstoffpreise für Kohle und Öl am Weltmarkt gestiegen sind, mussten Versorger an der Strombörse im laufenden Jahr etwa ein Viertel mehr bezahlen als ein Jahr zuvor.

Dagegen trägt der Staat derzeit noch kaum dazu bei, dass die Stromrechnung der Verbraucher weiter steigt. Dabei ist Deutschland mit einem Staatsanteil von über 50 Prozent am Strompreis international führend. Die Stromverbraucher finanzieren über die EEG-Umlage und die Netzentgelte den Großteil der Energiewende.

Für einkommensschwächere Haushalte ist das häufig eine zu große Belastung. Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD deshalb vereinbart, die Grundversorger zu verpflichten, säumigen Kunden eine Versorgung „auf Basis von Vorauszahlungen anzubieten, wenn der Kunde Ratenzahlungen auf Altschulden leistet oder eine eidesstaatliche Versicherung abgegeben hat“. Das bedeutet, in diesen Fällen sollen säumige Kunden weiter mit Strom versorgt werden. Das Wirtschaftsministerium prüfe derzeit, was gesetzlich getan werden muss, um diese Vereinbarung umzusetzen, heißt es in der Antwort.

„Die Kosten der Energiewende müssen gerecht verteilt werden. Es kann nicht sein, dass leistungsstarke Unternehmen immer noch hohe finanzielle Rabatte erhalten. Denn auch einkommensschwache Haushalte müssen diese Industrieausnahmen auffangen“, forderte Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). „Der vzbv fordert zudem, Maßnahmen, die die Energieeffizienz steigern, gerade in einkommensschwachen Haushalten zu unterstützen.“ Dazu gehöre beispielsweise die Verbraucherberatung. „Letztlich muss auch die Abstimmung zwischen Stromversorgern, Ämtern und unterstützenden Hilfseinrichtungen künftig besser funktionieren, damit Haushalten nicht mehr so häufig der Strom abgedreht wird. Denn jede Stromsperre ist eine zu viel“, sagte Müller.

Grünen-Politiker Lehmann nannte den Anstieg der Stromsperren besorgniserregend. „Denn Menschen geraten durch Stromsperren in existenzielle Notlagen. Ohne Strom kann man keine warme Mahlzeit zubereiten. Im schlimmsten Fall können die Betroffenen noch nicht einmal warm duschen oder heizen“, sagte Lehmann. „Grundsätzlich gilt, dass der beste Schutz gegen hohe Energiekosten ein geringer Verbrauch ist. Doch für Menschen mit niedrigen Einkommen ist die Anschaffung energiesparender Geräte aus finanziellen Gründen häufig nicht möglich. Daher muss die Bundesregierung ärmere Haushalte beim Energiesparen stärker unterstützen“, sagte Lehmann.

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