Berlin Euro-Rettung: Gericht stärkt Bundestag

Berlin · Auch bei eiligen und heiklen Entscheidungen zur Euro-Rettung darf die Bundesregierung das Parlament nicht übergehen und vor vollendete Tatsachen stellen. Die Abgeordneten müssten frühzeitig eingebunden werden, auch wenn es um komplizierte und eilige Vereinbarungen auf europäischer Ebene geht, urteilte gestern das Bundesverfassungsgericht. Es gab damit einer Organklage der Grünen-Bundestagsfraktion statt. Sie hatte geklagt, weil sie sich bei der grundsätzlichen Vereinbarung der Staats- und Regierungschefs im Februar 2011 über die Einrichtung des dauerhaften Euro-Rettungsschirms ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) übergangen sah.

Mit dem Urteil stärken die Karlsruher Richter den Einfluss der Abgeordneten vor und bei allen weiteren Entscheidungen der Regierungen in der Schuldenkrise. Dass diese Entscheidungen für Deutschland und seine Bürger von enormer Bedeutung sind, erklären schon die Kreditsummen, die den hilfebedürftigen Euro-Ländern Griechenland, Portugal, Irland oder Spanien bisher gewährt werden und für die deutsche Steuerzahler haften müssen. Der ESM, der am 1. Juli in Kraft tritt, dehnt das Kreditvolumen auf bis zu 700 Milliarden Euro aus.

Die Grünen hatten Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil die Bundesregierung dem Parlament aus ihrer Sicht im Frühjahr 2011 wochenlang wichtige Dokumente vorenthalten hatte. Der Textentwurf zum ESM habe der Regierung spätestens am 21. Februar 2011 vorgelegen, ein Vertragsentwurf folgte am 6. April. Eine Übermittlung der Dokumente an den Bundestag habe aber nicht stattgefunden, bestätigte das Gericht. Die spätere Unterrichtung der Abgeordneten am 17. und 18. Mai habe an der Verletzung der Parlamentsrechte nichts mehr geändert. Denn die Informationspflicht der Regierung könne nicht später "in einem Gesamtpaket" erledigt werden.

Auch in den Euro-Plus-Pakt, der eine bessere Abstimmung und Kontrolle über die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten sicherstellen soll, habe die Regierung den Bundestag zu spät eingeweiht. Spätestens zwei Tage, bevor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Sarkozy den Pakt dem EU-Rat vorstellten, hätte der Bundestag eingebunden werden müssen, urteilten die Richter. Das wäre der 2. Februar 2011 gewesen. Stattdessen wurde der Textentwurf den Abgeordneten erst am 11. März übersandt. Zu diesem Zeitpunkt "bestand für den Bundestag keine Möglichkeit mehr, dessen Inhalt zu diskutieren und durch eine Stellungnahme auf die Bundesregierung einzuwirken", so das Gericht. Denn noch am gleichen Tag einigten sich die Regierungen auf den Euro-Plus-Pakt.

In seinem Urteil legte der Zweite Senat genaue Kriterien für die künftige Beteiligung des Parlaments fest. Danach muss die Regierung den Bundestag auch über Ergänzungsverträge der EU unterrichten. Die Weitergabe muss so frühzeitig kommen, dass das Parlament "nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät", sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Sobald Zwischen- und Teilergebnisse an die Öffentlichkeit gegeben werden könnten, müsse der Bundestag schriftlich informiert werden.

Das Urteil habe keine inhaltlichen Auswirkungen auf den Fiskalpakt und den ESM, die am 29. Juni von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden sollten, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Sein Staatssekretär Werner Gatzer räumte jedoch ein, das Urteil habe ihn "in seiner Klarheit überrascht". "Es erschwert einen Diskussionsprozess, wenn man auch Wasserstände darstellen muss", sagte Gatzer. Die Grünen leiteten aus dem Urteil neue Forderungen zunächst nur für die europäische Ebene ab. "Wir verlangen, nun auch die Rechte des EU-Parlaments zu stärken. Der Parlamentspräsident muss zum Beispiel künftig an den Sitzungen der Staats- und Regierungschefs teilnehmen", sagte Finanzexperte Gerhard Schick.

(RP)
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