Interview mit dem Ex-Trainer von Becker Günther Bosch: "Boris muss sich gewaltig wandeln"

Köln · Als Trainer hat Günther Bosch Boris Becker zum jüngsten Wimbledonsieger der Tennis-Geschichte gemacht. Im SID-Interview spricht der heute 76-Jährige über die Herausforderungen und Entbehrungen, die auf Becker als Headcoach von Novak Djokovic warten, und sagt: "Boris muss sich gewaltig wandeln, dann steht der Weg für große Erfolge offen."

 Günther Bosch und Boris Becker im Jahr 1985.

Günther Bosch und Boris Becker im Jahr 1985.

Foto: dpa, Probst

Frage: "Herr Bosch, waren Sie genauso überrascht von Novak Djokovics Entscheidung, Boris Becker als Coach zu verpflichten, wie viele andere in der Tennis-Szene?"

Günther Bosch (Beckers Ex-Trainer): "Nein. Und ich weiß, das wird Sie jetzt überraschen. Für mich ist diese Entscheidung keine Sensation, es ist eher eine Entwicklung, die sich über eine längere Zeit angebahnt hat."

Frage: "Das müssen Sie erklären."

Bosch: "Dazu muss ich ausholen: Ivan Lendl war für Boris schon immer Ansporn gewesen. Der Schläger, den Boris damals gespielt hat, den spielte schon Lendl. Boris hat ihn unter seinem Kissen versteckt, wenn er schlafen gegangen ist. In Wimbledon, beim Masters oder bei den Australian Open kam es dann zu den großen Duellen. Der Reiz 'Lendl' hat Boris immer verfolgt, und jetzt, da Lendl erfolgreich Andy Murray trainiert, war es nur eine Frage der Zeit, bis Boris selbst als Trainer auf die Tour zurückkehrt."

Frage: "Soviel zu Beckers Motivation. Was hat sich aber Novak Djokovic bei der Verpflichtung gedacht?"

Bosch: "Novak hat sich überlegt: Wie kann ich besser sein als Andy Murray oder Roger Federer, der ja jetzt mit Boris' anderem großen Rivalen, Stefan Edberg, zusammenarbeitet. Also hat sich Djokovic wohl gedacht: Nehme ich doch Boris, der hat international einen größeren Ruf als Lendl oder Edberg."

Frage: "Plakativ gefragt: Kann Boris Becker Trainer?"

Bosch: "Eines ist sicher: Boris muss sich gewaltig wandeln. Er muss sich zurücknehmen, wenn er mit Djokovic unterwegs ist. Bei 'Wetten, dass..?' hat man es ja schon gesehen, dass er zurückgepfiffen wurde. Djokovic hat das Sagen und nicht sein Trainer. Boris muss lernen, im Schatten des Spielers zu stehen. Das war bei seiner einzigen Erfahrung, damals (1997 bis 1999, d. Red.) als Coach des Davis-Cup-Teams, anders. Dort stand er im Mittelpunkt und nicht seine Spieler, deshalb hat es nicht funktioniert."

Frage: "Trauen Sie ihrem ehemaligen Schützling diese Zurückhaltung zu?"

Bosch: "Boris ist ein Mensch der Öffentlichkeit geworden. Der Erfolg der Kombination mit Novak Djokovic wird auch in der Frage entschieden, ob er sich zurücknehmen kann und ob er das auch aushält, ohne Djokovic zu stören."

Frage: "Was meinen Sie konkret?"

Bosch: "Die Luft dort oben an der Weltspitze ist sehr dünn, aber für Boris auch sehr reizvoll. Er muss auf viel verzichten, dazu ist er aber auch im Stande. Das weiß ich. Er wird weniger Zeit mit seiner Familie verbringen und auch weniger Zeit für seine TV-Auftritte und seine Spielchen haben. Es wird ein neues Leben für ihn, aber auch eine Chance, die er wahrnehmen muss wie damals 1985, als er Wimbledon gewonnen hat."

Frage: "Was kann Boris Becker dem Weltranglistenzweiten Novak Djokovic sportlich vermitteln?"

Bosch: "Er kann ihm sportlich viel beibringen. Nicht Vorhand oder Rückhand, aber mental, er kann Djokovic etwas über Einstellung erzählen. Er kann ihm beibringen, dass verloren geglaubte Spiele noch lange nicht verloren sind. In diesem Punkt war Boris einmalig."

Frage: "Was kann Becker seinem Schützling taktisch noch beibringen?"

Bosch: "Dass wichtige Punkte nicht durch Fehler des Gegners, sondern durch eigenen Mut und das eigene Können entschieden werden. Djokovic ist ein idealer Spieler, der weit hinter der Grundlinie steht, vielleicht sogar etwas zu weit. Er wird jetzt nicht sofort bei Breakball gegen sich Aufschlag-Volley spielen, aber manchmal ist es wichtig, den Gegner zu überraschen."

Frage: "Im Vergleich zu Lendl bei Andy Murray: Welche Rolle trauen Sie Boris Becker am Feldrand zu?"

Bosch: "Lendl ist solch ein grimmiger Typ, der keine Gefühle zeigt. Boris kann alle mitreißen, er wird Freude und Ärger vermitteln können. Boris wird mitleiden, er wird in der Box seelisch und geistig genauso mitspielen wie Djokovic unten auf dem Platz. Aber er muss genau drauf achten, was er vermittelt und ob es der Spieler annimmt. Er muss diplomatisch und gefühlvoll sein und auch Djokovics Launen ertragen."

Frage: "Wann wird das 'Doppel' Becker/Djokovic zu einer Erfolgsgeschichte?"

Bosch: "Alles hängt von einem guten Start ab, dann ist der Weg für alle offen. Meiner Meinung nach ist Boris zur Entwicklung fähig, es ist ein neuer Anfang für ihn, und ich wünsche ihm nur das Beste und viel Erfolg. Boris kann mit seinem Engagement auch für einen neuen Boom im Herrentennis sorgen. Er hat das als Spieler schon einmal gemacht und ist im Stande dazu, dies auch als Trainer zu tun."

(sid)
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