Fotos 1985: Becker gewinnt Wimbledon

Wimbledon, 7. Juli 1985, 17.26 Uhr: Als Boris Becker die Arme in die Höhe reißt und ungläubig Richtung Tribüne starrt, spielen sich dort denkwürdige Szenen ab.

Vater Karl-Heinz Becker knipst mit einer Kompaktkamera Bilder fürs Familienalbum, während Manager Ion Tiriac Trainer Günther Bosch einen mächtigen Hieb ins Kreuz verpasst.

Auf dem Rasen des Centre Court ist gerade ein Sport-Wunder passiert: Ein weithin unbekannter Junge aus Leimen bei Heidelberg hat das wichtigste Tennis-Turnier der Welt gewonnen - als erster ungesetzter Spieler, als erster Deutscher und mit 17 Jahren als jüngster Champion aller Zeiten.

Es ist eine der größten Sensationen des Weltsports, und für die Deutschen ist es der Beginn einer wunderbaren Leidenschaft. Beckers erster Sieg in Wimbledon (zwei weitere folgten 1986 und 1989) löst einen Tennis-Boom aus, der selbst "König Fußball" zeitweilig in den Schatten stellt. Es gibt kaum ein Turnier, das nicht im Fernsehen übertragen wird.

"Für mich als Teamchef vom Deutschen Tennis Bund war es eine besonders schöne Zeit", erinnert sich Niki Pilic, der mit Becker dreimal den Daviscup nach Deutschland holte, im ddp-Gespräch. "In dieser Zeit hat jeder in Deutschland Tennis gespielt."

Das Einzigartige an seinem ehemaligen Schützling beschreibt der Kroate mit den Worten: "Er hat gekämpft wie ein Löwe und nie aufgegeben. Er hat viele Matches, in denen er zwei Sätze zurücklag, noch umgebogen."

Bei seinem ersten Wimbledon-Triumph bleibt Becker in seinen beiden ersten Spielen noch relativ unbehelligt. Das ändert sich in Runde drei, als er mit Joakim Nyström einen gesetzten Spieler (Nummer 5) ausschaltet. Gegen den Schweden macht Becker erst im fünften Satz mit 9:7 alles klar. Noch dramatischer wird das Achtelfinale gegen Tim Mayotte (USA). Becker knickt wie im Vorjahr bei seiner ersten Wimbledon-Teilnahme um und will bereits aufgeben, wird aber von Bosch und Tiriac zum Weiterspielen überredet. Er beißt die Zähne zusammen und siegt erneut in fünf Sätzen.

Nachdem er im Viertelfinale auch den Franzosen Henri Leconte in vier Sätzen bezwungen hat, ist der Schwede Anders Jarryd in der Vorschlussrunde die letzte Hürde vor dem Finale. Jarryd gewinnt den ersten Satz und hat Spielball zum zweiten, als Becker die Partie herumreißt.

Am Ende steht es 2:6, 7:6, 6:3, 6:3 für den 17-Jährigen. Erstmals seit Wilhelm Bungert 1967 steht wieder ein Deutscher im Finale des wichtigsten Tennis-Turniers der Welt.

Klarer Favorit ist der Südafrikaner Kevin Curren, der bereits die letzten beiden Wimbledon-Champions Jimmy Connors und John McEnroe (beide USA) aus dem Turnier geworfen hat. Doch gegen den jungen Deutschen spielt er ungewöhnlich nervös. "Curren konnte keinen Druck machen", beschreibt Pilic das Match. Nicht einmal 50 Prozent seiner ersten Aufschläge kommen ins Feld.

Becker antwortet mit gnadenlosen Returns und holt sich den ersten Satz mit 6:3. Im zweiten Durchgang bleibt bis zum Tiebreak alles offen. Curren scheint seine Nervosität bezwungen zu haben und gleicht zum 1:1 nach Sätzen aus.

Im dritten Satz geht es erneut in den Tiebreak. Becker benötigt insgesamt acht Satzbälle, bis er seine berühmte Becker-Faust ballen kann. Gleich zu Beginn des vierten Satzes kassiert Curren ein Break. Im nächsten Spiel hat Curren noch zwei Chancen zum Re-Break, doch Becker wehrt sie souverän ab. Er gibt kein Aufschlagspiel mehr ab und gewinnt den entscheidenden Satz mit 6:4.

"Ein Siebzehnjähriger mit roten Haaren im Tennis-Mekka", blickt Pilic zurück, "das war eine Eruption in Deutschland." "Der Leimener" wird Deutschlands neuer Held. Sechs weitere Grand-Slam-Titel folgen, viermal wird er zum "Sportler des Jahres" gewählt. Zwar wird Steffi Graf sportlich noch erfolgreicher, und mit Michael Stich kommt noch ein zweiter deutscher Wimbledon-Sieger - der 1991 ausgerechnet gegen Boris Becker siegt.

Beckers erster Wimbledon-Sieg aber bleibt die Initialzündung des deutschen Tennis-Wunders.

Zwanzig Jahre später ist von dem Boom kaum etwas übrig geblieben, wie Pilic ernüchtert bilanziert. Aus dem Fernsehen ist Tennis weitgehend verschwunden, das Daviscup-Team spielt zweitklassig. Ein neuer Becker ist nach Einschätzung Pilic' nicht in Sicht: Die Generation der heute 17- oder 18-Jährigen "ist nicht da". Und den Grund liefert er gleich mit: "Es ist nicht mehr einfach, einen Deutschen zu finden, der bereit ist, sich zu quälen." So wie Boris Becker vor zwanzig Jahren.

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