Drittjüngstes Team der WM Englands Auszubildende trumpfen auf

Düsseldorf · Englands Nationalmannschaften sind in der Vergangenheit mit der Bitte zu Weltmeisterschaften gefahren, doch endlich den Fußball nach Hause zu holen. In diesem Jahr ist das anders. Aber nun sind die Three Lions dem großen Wurf so nahe wie lange nicht.

Englands Harry Kane (r.) und Kieran Trippier (l.) feiern ihren Torhüter Jordan Pickford.

Englands Harry Kane (r.) und Kieran Trippier (l.) feiern ihren Torhüter Jordan Pickford.

Foto: AP/Victor R. Caivano

Dass nach einem Elfmeterschießen bei einem großen Turnier in England Tränen fließen, ist relativ normal. Doch in der Nacht zum Mittwoch war etwas anders, denn die Tränen flossen vor Freude. Gegen Kolumbien hatte England nämlich zum ersten Mal bei einer WM ein Elfmeterschießen gewonnen und steht dadurch nun im Viertelfinale.

Selbst für die heimischen Medien kam das überraschend. „England gewinnt ein Elfmeterschießen - eine Überschrift, von der Sie niemals gedacht hätten, dass Sie sie lesen“, titelte die Boulevardzeitung „The Sun“. Der „Guardian“ machte es etwas kürzer: „Yes, we can.“

Es war zudem nicht nur der erste Sieg nach Elfmeterschießen bei einer WM, sondern der erste Sieg in der K.o.-Phase eines großen Turniers für die Three Lions seit der WM 2006. In England ist man erleichtert, aber vor allem auch stolz auf das Team von Trainer Gareth Southgate. „Ich könnte nicht stolzer sein auf das englische Team - ein Sieg im Elfmeterschießen!“, twitterte zum Beispiel Prinz Harry. Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton schrieb: „So stolz auf unsere Jungs, weil sie Durchhaltevermögen bewiesen und nie aufgegeben haben.“ In den sozialen Medien verbreiten sich Bilder von hemmungslos jubelnden Fans. England ist vollständig euphorisiert.

In der Vergangenheit hätte ein Achtelfinalsieg wohl kaum solche Reaktionen hervorgerufen – Elfmeterschießen hin oder her. Dafür waren die Erwartungen an die Teams um Weltstars wie David Beckham, Frank Lampard, Steven Gerrard oder Wayne Rooney viel zu hoch. Diese Mannschaft schickte man mit der kleinen Bitte zu Weltmeisterschaften, den Fußball - also den Weltpokal - doch endlich nach Hause zu bringen. Das war zuletzt 1966 gelungen.

In diesem Jahr ist das anders. Die Mannschaft ist ohne den großen Druck nach Russland gefahren. Die englische Öffentlichkeit hat verstanden, dass dort ein Team auf dem Platz steht, das seine beste Zeit noch vor sich hat und die WM ein Lernprozess sein soll.

WM 2018: Engländer bejubeln historischen Sieg im Elfmeterschießen
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Engländer bejubeln historischen Sieg im Elfmeterschießen

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Foto: AFP/FRANCISCO LEONG

Southgate, selbst mit 47 Jahren drittjüngster WM-Trainer, setzt in Russland voll auf die Jugend. Spieler wie Wayne Rooney oder Joe Hart sind nach dem peinlichen Achtelfinal-Aus gegen Island bei der EM 2016 kein Thema mehr. Mit 25,5 Jahren im Schnitt ist der englische Kader nicht nur der drittjüngste Kader des Turniers, sondern auch der drittjüngste Kader der englischen WM-Geschichte.

Ein unerfahrener Trainer setzt auf eine unerfahrene Mannschaft. Im Vorfeld der WM hatte das dann doch auch für kritische Stimmen gesorgt. Doch Trainer Southgate verteidigte seine Linie stets: „Ich sehe es nicht als Lotteriespiel. Wir denken, es ist die beste Gruppe an Spielern für dieses Turnier“, sagte er.

Tatsächlich strotzt das Team nur so vor Potential. Kapitän Harry Kane ist mit 24 Jahren schon einer der weltbesten Stürmer und führt mit sechs Treffern die WM-Torschützenliste an. Auch die Toptalente Dele Alli (24), Jesse Lingard (24), Raheem Sterling (23), Eric Dier (24) und John Stones (24) sind noch nicht im besten Fußballer-Alter. Und Torhüter Jordan Pickford (24) hat nicht nur im Elfmeterschießen gegen Kolumbien gezeigt, dass Englands traditionelles Torwartproblem keines mehr ist. „Unser Weg ist noch lang“, sagte Harry Kane.

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„Yes, we can“

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„Ich denke, diese Gruppe junger Spieler kann sehr viel Spaß machen. Jetzt und in der Zukunft“, sagte Southgate vor dem Turnier.

Die geringe Erwartungshaltung aus der Heimat sorgt nun dafür, dass dieses talentierte Team nahezu frei aufspielen kann. Ein Achtelfinal-Aus gegen Kolumbien wäre sicher schade, aber nicht das Ende des englischen Fußballs gewesen.

Umso ironischer ist es, dass diese Mannschaft voller Auszubildender dem Titelgewinn so nahe ist wie lange kein englisches Nationalteam. Da die Three Lions in der Gruppe H hinter Belgien Zweiter geworden ist und viele Favoriten gestrauchelt sind, gehen sie Duellen mit den harten Brocken aus dem Weg. Im Viertelfinale wartet nun am Samstag Schweden – ein unangenehmer, aber schlagbarer Gegner. Der Gewinner dieser Partie trifft dann im Halbfinale auf den Gewinner des Viertelfinals zwischen Russland und Kroatien. Auch vor diesen Gegnern muss sich England nicht verstecken. Und im Finale wäre England dann zwar wohl nicht der Favorit, aber Überraschungen hat es immer schon gegeben. Und auch wenn der Fußball in diesem Jahr noch nicht nach Hause kommt: Er ist zumindest auf dem richtigen Weg.

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