Martina Willing: Erst erblindet, dann gelähmt, jetzt Silber

Sydney (sid). Erst erblindet, dann gelähmt, jetzt Paralympics-Silber im Kugelstoßen: In der tragischen Geschichte der Martina Willing wurde bei den Paralympics in Sydney wieder mal ein positives Kapitel aufgeschlagen. Die 41-Jährige hat in ihrem Leben Unglaubliches durchgemacht und vermittelt gehandicapten und nicht behinderten Menschen trotzdem eine klare Botschaft der Lebensfreude: "Man darf nie den Mut verlieren. Sport ist dabei ganz wichtig: Jeder sollte sich bewegen."

Martina Willing aus Brandenburg kam bereits sehbehindert auf die Welt. Obwohl sie mit 21 Jahren völlig erblindete, entschied sie sich in ihrem "zweiten Leben in der Dunkelheit" für eine sportliche Karriere. Bei den Paralympics 1992 in Barcelona gewann die auf technische Disziplinen spezialisierte Leichtathletin Gold in der Klasse der Sehbehinderten. 1994 startete sie bei den Winter-Paralympics in Lillehammer und holte mit der Staffel Silber im Skilanglauf.

Wegen eines Sturzes im abschließenden Einzelrennen musste sich Willing einer Knieoperation unterziehen. Das Unglaubliche passierte: Eine Blutung im Rückenmark als Folge der Betäubungsspritze führte zur Querschnittlähmung. "Das gehörte nicht zum Plan. Es war zwar eine der zehn möglichen Konsequenzen, die die Ärzte vorher aufgezählt hatten, aber man glaubt ja nie, dass es einen selbst trifft", erzählt Willing. Um den erneuten Schicksalsschlag wegzustecken, brauchte sie fast ein Jahr.

"Irgendwann habe ich mir gesagt, dass ich es eh nicht ändern kann und mich zurechtfinden muss. Ich wusste, dass es einen Weg da raus gibt. Die Kraft dafür habe ich vor allem von meinen Freunden bekommen", sagt Willing. Weil "ich nicht rauche oder trinke" fand die trotz allem humorvolle Frau auch in ihrem dritten Leben in der Dunkelheit und mit dem Rollstuhl den Weg zum Sport. Erst fehlte ihr das Gefühl für die Geräte, doch Willing lernte schnell.

Bei den Paralympics 1996 gewann sie in ihrer neuen Behinderungs-Klasse als einzige Blinde unter den Rollstuhlfahrern schon wieder Gold im Speerwerfen. In Sydney soll nach Kugelstoß-Silber noch mindestens eine weitere Medaille im Diskus- und Speerwerfen folgen: "Ich bin sehr ehrgeizig. Heute heißt es ja immer, wenn man Silber gewinnt, hat man verloren." Ihre Ansprüche an sich selbst sind so hoch, dass sie auch in den Wintersport zurückkehrte und als einzige blinde Skischlitten-Fahrerin mit Weltniveau (sie wird von einem Begleitläufer geführt) bei der WM 1999 wieder ganz vorn dabei war.

Die Erfolge sind auch eine Entschädigung für die vielen Probleme im täglichen Leben, die die gemeinsam mit ihrer Schwester in einem Haus wohnende Martina Willing vor allem mit Unterstützung ihrer Familie meistert. Zum täglichen Training fährt sie ihr Coach. Wenn sie auf die Straße will, ist Willing auf die Hilfe ihrer Freunde und Angehörigen angewiesen: "Ich liebe meine Familie, meine beiden Kätzchen und den Hund. Aber ziemlich oben steht der Sport."

(RPO Archiv)
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