Schwere Unruhen im Westjordanland Zwölf Tote und hunderte Verletzte bei erneuten Zusammenstößen

Jerusalem/Gaza/Kairo (dpa). Bei den blutigen Unruhen im Westjordanland und dem Gazastreifen sind am Samstag nach palästinensischen Angaben zwölf Palästinenser von israelischen Soldaten getötet und mehr als 400 zum Teil lebensgefährlich verletzt worden. Der wichtigste Berater von Palästinenserpräsident Jassir Arafat nannte das Vorgehen der israelischen Armee gegen die gewalttätigen Demonstranten "eine Kriegserklärung". Die Arabische Liga will am Sonntag in einer Dringlichkeitssitzung in Kairo über die Lage beraten.

Obwohl die Ausschreitungen gegen Abend an Intensität abnahmen, war ein Ende der Gewalt noch nicht abzusehen. Nach palästinensischen Angaben war der jüngste der getöteten Demonstranten zwölf Jahre alt. Unter den Toten war auch ein Sanitäter, der während einer Straßenschlacht in Gaza versucht hatte, einen verletzten Palästinenser zu bergen. Mehrere Palästinenser rangen nach Kopfschüssen mit Gummimantel-Geschossen oder scharfer Munition in palästinensischen und israelischen Krankenhäusern mit dem Tode.

Der Chef des Stabs von Israels Ministerpräsident Ehud Barak, Dani Jatom, wies Berichte zurück, wonach die israelischen Soldaten Dum- Dum-Geschosse verwendet oder Anweisungen zu gezielten Todesschüssen erhalten hätten. "Israelische Soldaten haben nur mit scharfer Munition geschossen, wenn ihr Leben akut bedroht war" sagte Jatom im israelischen Rundfunk am Abend.

Palästinenserpräsident Arafat hatte für Samstag einen Generalstreik im gesamten palästinensischen Autonomiegebiet und einen "Tag der Trauer" befohlen. Er warf Israel vor, die Explosion der Gewalt durch einen Besuch des rechtsgerichteten israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Jerusalemer Tempelberg am Donnerstag provoziert zu haben. Der Streit um die Souveränität über diese heilige Stätte von Juden und Moslems blockiert seit Monaten den Friedensprozess zwischen beiden Völkern.

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Esmat Abdel Meguid, sagte nach einem Treffen mit Arafat in Kairo, bei der Sitzung der Organisation am Sonntag werde es um eine gemeinsame Haltung der arabischen Staaten gegenüber "Israels Verletzung der heiligen Stätten in Jerusalem" gehen.

Der Planungsminister der Autonomiebehörde, Nabil Schaath, kündigte an, er werde noch am Sonntag zu einer Reise nach Europa aufbrechen, um Politiker in Frankreich, Großbritannien, Luxemburg, Irland und Belgien über die "gefährliche Situation" aufzuklären, die das Ergebnis "mutwilliger Akte und Massaker gegen unbewaffnete betende Palästinenser" sei.

In Jordanien verurteilten alle politischen Parteien das israelische Vorgehen gegen gewalttätige Demonstranten als "Massaker". Außenminister Abdul Ilah Chatib drängte die israelische Regierung, "provokative Handlungen" zu unterbinden, die zu Gewalt führten und den Friedensprozess beeinträchtigten.

In Damaskus riefen radikale Palästinenserorganisationen zum "bewaffneten Kampf" gegen Israel auf. Die Organisation "Heiliger islamischer Krieg" forderte die palästinensische Autonomiebehörde auf, die Verhandlungen mit Israel abzubrechen und der "Entscheidung des Volkes zu Intifada und bewaffnetem Widerstand" Folge zu leisten. Die militante "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) drohte in einer Erklärung an, wieder Anschläge gegen israelische Zivilisten, aber auch gegen die politische Führung Israels vorzubereiten.

Die US-Regierung forderte beide Seiten inzwischen auf, die Auseinandersetzungen zu beenden. Auch der russische Präsident Wladimir Putin äußerte sich "höchst beunruhigt" über den neuerlichen Ausbruch von Gewalt und forderte von allen Seiten "maximale Zurückhaltung".

(RPO Archiv)
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