Erste Festnahmen in den nächsten Tagen? Zeitung: Anti-Terror-Schlag steht bevor

Berlin (rpo). Die deutschen Ermittlungsbehörden sollen nach Informationen der "Berliner Zeitung" in den nächsten Tagen einen großen Schlag gegen islamistische Extremisten planen. Innenminister Schily (Foto) hat unterdessen keine Hinweise auf konkrete Anschlagspläne für den 11. September in Deutschland.

Bei dem bevor stehenden Schlag wird laut "Berliner Zeitung" erstmals der neue Anti-Terrorparagraf § 129 b des Strafgesetzbuches angewandt, der im September in Kraft getreten ist. Er erlaubt die strafrechtliche Verfolgung von in Deutschland lebenden Mitgliedern und Unterstützern ausländischer Terrorgruppen.

Die Behörden gingen davon aus, dass noch bis zum vergangenen Herbst in Deutschland mehrere hundert Mitglieder und Anhänger islamistischer Terrororganisationen lebten, hieß es. Mehrere von ihnen seien aber nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes inzwischen untergetaucht oder hätten das Land bereits wieder verlassen. Allein in Berlin sollen sich der "Berliner Zeitung" zufolge rund 60 mutmaßliche islamistische Extremisten aufhalten. Ob die Festnahmeaktion aber tatsächlich der große Schlag gegen ausländische Extremisten wird, bezweifelten jedoch selbst die Ermittler, schrieb das Blatt.

Schily warnt vor "Panikstimmung"

Eine Woche vor dem Jahrestag der Terroranschläge in den USA hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zu höchster Wachsamkeit aufgerufen, zugleich aber vor "Alarmismus und Panikstimmung" gewarnt. Es gebe eine allgemeine Gefahrenlage, aber keine Hinweise über eine aktuelle Bedrohung. Man dürfe nicht nur auf das Datum 11. September starren. "Lassen Sie uns nicht in einen Wettbewerb der Spekulationen eintreten", mahnte Schily am Mittwoch in Berlin. Ausdrücklich lobte er die Terrorbekämpfung des Bundeskriminalamtes (BKA). Dessen Präsident Ulrich Kersten sagte: "Die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus hat erste Priorität."

Ungeachtet der Erfolge in Afghanistan und im Anti-Terrorkampf "ist weiterhin höchste Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden nötig", sagte Schily. Das Terrornetzwerk El Kaida sei möglicherweise geschwächt, aber noch handlungsfähig. Zu Berichten, dass angeblich ein Schlag gegen islamistische Extremisten bevorstehe, wollte sich Schily äußern. "Ich kann auch nicht bestätigen, dass so etwas bevorsteht oder nicht bevorsteht." Die "Berliner Zeitung" (Mittwoch) hatte berichtet, schon in den nächsten Tagen sei mit Festnahmen zu rechnen.

Schily will Anti-Terror-Kampf ausweiten

Ein Jahr nach den Anschlägen hat Schily eine Ausweitung des Anti-Terror-Kampfes angekündigt. Die Mittel für das Bundeskriminalamt würden im kommenden Jahr um 20 Prozent auf 394 Millionen Euro aufgestockt und 168 neue Stellen im Bereich Terrorbekämpfung geschaffen, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in Berlin. Erkenntnisse über "konkrete Bedrohungsszenarien" gebe es weiterhin nicht. Allerdings sei immer noch größte Wachsamkeit geboten.

Die Union warnte vor einer Unterschätzung der Gefahr und warf der Bundesregierung schwere Versäumnisse beim Schutz vor islamistischem Terror vor. Schily sagte, Osama Bin Ladens El Kaida sei zwar deutlich geschwächt, man müsse aber weiter von einer "grundsätzlichen Handlungsfähigkeit" ausgehen. Man sollte sich aber nicht "in einen Alarmismus hineintreiben lassen, erst recht nicht in eine Panikstimmung".

Nach dem 11. September seien bei den Sicherheitsbehörden mehr als 500 Terror-Hinweise eingegangen, von denen sich aber keiner als stichhaltig erwiesen habe, berichtete Schily. Derzeit liefen 72 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus. Nach Angaben von BKA-Chef Ulrich Kersten werden Personen "im unteren dreistelligen Zahlenbereich" auf der so genannten Gefährderliste der Behörde geführt.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, sieht eine hohe Gefährdung auch in Deutschland. "Es gibt unverändert eine sehr hohe abstrakte Gefährdung", sagte Fromm der dpa in Köln. "Das bedeutet, dass wir davon ausgehen müssen, dass Anschläge jederzeit möglich sind." Aber wie auch Schily sagte er, es gebe keine konkreten Hinweise. Das gelte auch für den 11. September: "Wir haben keine Erkenntnisse dahingehend, dass sich Terror-Gruppen bei ihren mit langer Hand vorbereiteten Anschlägen an Jahrestagen orientieren."

Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist nach Worten Schilys schon vor den Anschlägen in den USA erkannt worden. "Aber die Tiefenwirkung dieser Gefahr ist erst erkennbar geworden mit dem 11. September." Das BKA habe sich damals schnell auf die neue Lage eingestellt und schon wenige Stunden nach den Anschlägen die "Besondere Aufbauorganisation USA" mit zeitweise mehr als 600 Mitarbeitern gebildet. Weiterhin seien 450 BKA-Mitarbeiter eingesetzt. Das BKA habe nach dem 11. September mehr als 24 000 Hinweise abgearbeitet. Von etwa 500 Gefährdungshinweisen habe sich keiner als stichhaltig erwiesen. 50 der insgesamt 72 Ermittlungsverfahren lägen beim BKA.

Die Forderung des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) nach einem "Sicherheitspaket III" lehnte Schily als überflüssig ab. Viel wichtiger sei die Umsetzung moderner Methoden in der Verbrechensbekämpfung. Einen Streit der beiden Politiker löste ein Terror-Propagandavideo aus. Schily warf Beckstein vor, zunächst eine Boulevardzeitung und erst dann die Bundesbehörden unterrichtet zu haben. "Das sollte auch in Zeiten des Wahlkampfes nicht einreißen." Beckstein - in der Mannschaft von Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) für die Innenpolitik zuständig - wies dies zurück. Über das Video sei der Bundesverfassungsschutz am 27. August auf Referatsleiterebene informiert worden.

Der Grünen-Rechtspolitiker Volker Beck warf Beckstein vor, Bürgerrechte weiter einschränken zu wollen. Die PDS-Innenpolitikerin Ulla Jelpke bewertete Schilys Bilanz im Anti-Terrorkampf negativ. Rot-Grün habe Bürgerrechte massiv eingeschränkt, die öffentliche Sicherheit aber nicht verbessert.

(RPO Archiv)
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