Analyse Wie viel Schule braucht die Kirche?

Duisburg · Die Spardiskussion in der rheinischen Kirche spitzt sich zur Identitätsdebatte über den Stellenwert der Bildung zu. Die Sorge, dass ein ganzer kirchlicher Arbeitsbereich austrocknet, ist groß. Der Unmut an der Basis auch.

So richtig glückstrahlend sieht Manfred Rekowski ohnehin selten aus. Neulich allerdings, bei der evangelischen Kirchengemeinde in Duisburg-Hochheide, da wirkte der rheinische Präses noch etwas grauer und sorgenvoller als sonst. Rekowski schlug an diesem Abend geballter Unmut entgegen. Er war mit Teilen seiner Kirchenleitung zur letzten von vier Basiskonferenzen erschienen, um den Schäfchen den zweiten Teil der drastischen Kürzungen zu vermitteln, mit denen die Landeskirche bis 2018 nicht weniger als 35 Prozent ihrer Ausgaben einsparen will.

Über Wege dahin diskutiert man im Rheinland seit einem Jahr; im Januar soll die Synode das zweite Sparpaket beschließen. Mittlerweile hat sich das Ganze zu einer Identitätsdebatte ausgewachsen. Im Zentrum steht die Frage, wie wichtig eigene Bildungseinrichtungen für die gesellschaftliche Prägekraft sind. Denn die Kirche schließt nicht aus, sich von Schulen zu trennen. Diese Option ergab sich nicht aus theologischen Grundsatzdebatten, sondern aus nackten Zahlenvorgaben - Bildung kostet viel Geld. Die Ungewissheit trifft einen Nerv, denn Bildung ist seit 500 Jahren evangelisches Kerngeschäft. Schulen sind für die Kirche zudem Zugangsschleusen zu einer Gesellschaft, die von organisierter Religion immer öfter nichts mehr wissen will.

Knapp die Hälfte des Sparbetrags von 20 Millionen Euro pro Jahr, den einfacheren Teil, hat die Synode im Januar beschlossen; was jetzt noch kommt, tut richtig weh. Der Unmut an der Basis speist sich vor allem daraus, dass 4,5 der noch zu erbringenden zwölf Millionen Euro, fast 40 Prozent, auf die Schulen entfallen. "Wir werden überproportional belastet", klagt Michael Jacobs, Leiter des Theodor-Fliedner-Gymnasiums in Düsseldorf: "Unser Anteil am Haushalt beträgt nur 20 Prozent." Evangelische Schulen sprächen Familien an, die keine Gemeinde mehr erreiche, sagt Jacobs. Viele denken ähnlich - in Duisburg erhielten die den stärksten Beifall, die Korrekturen einforderten oder gleich feststellten, wie es ein Jugendvertreter tat: "In 50 Jahren haben wir keine Kirche mehr, wenn wir so weitermachen. Das ist unser Todesurteil."

Die Kirchenleitung steckt in zwei Dilemmata, einem grundsätzlichen und einem konkreten. Da ist zunächst die Frage nach dem Ziel des Sparens. Rekowski sagt zwar stets, es gehe nicht darum, was man noch "machen" wolle, sondern darum, wie die in der Kirchenordnung festgelegten Aufgaben (etwa Diakonie, Seelsorge, Mission, Bildung) zu erfüllen seien. Wegen der inhaltlichen Verschwommenheit und der internen Unwucht des vorliegenden Pakets wird er aber die Frage nach dem Was nicht los - die Sorge ist groß, dass die kirchliche Bildungsarbeit durch Austrocknung auf der Strecke bleibt.

Aus dem grundsätzlichen folgt das konkrete Problem: Wo ansetzen? Relativ leichtgefallen sein dürfte noch, etwa das Film-, Funk- und Fernsehzentrum in Düsseldorf auf die Streichliste zu setzen. Es soll verpachtet werden, weil das kirchliche Tagungshaus nicht kostendeckend zu betreiben ist; 550 000 Euro soll das bringen. Die Kirchenleitung spricht von einer "repräsentativen Einrichtung an einem attraktiven Standort" - im Klartext: Luxus dieser Art können wir uns nicht mehr leisten.

In der 34-seitigen Erläuterung der Kirchenleitung zur aktuellen Sparliste ist aber auch viel von Breitenwirkung die Rede. Auch bei der Bildung - nur irgendwie anders als jetzt. Zwar heißt es: "Die Schulen genießen einen sehr guten Ruf und erreichen viele Schüler mit ihren Familien." Es gehe aber auch darum, "stärker die Schüler zu erreichen, die nicht die Chance haben, eine evangelische Schule zu besuchen". Dazu soll die Fortbildung von Religionslehrern ausgebaut werden. Ob Schulung Schulen nur annähernd ersetzen kann, ist freilich unklar. Immerhin: Die Schließung von Schulen werde "nicht angestrebt", heißt es - bezeichnenderweise wegen der damit verbundenen Finanzrisiken. Alles andere bleibt vorerst offen.

Schulleiter Jacobs weiß nur, wie es nicht geht: durch die Kombination aus einer Abgabe der Schulen an andere Träger, in erster Linie wohl Kommunen, und der verstärkten Einwerbung externer Gelder, wie die Kirchenleitung es vorschlägt. "Wenn die Kirche die Trägerschaft aufgibt, bricht die Unterstützung ein. Die Menschen unterstützen unsere Schulstiftung als Trägerin ja vor allem, damit die Schulen kirchlich bleiben." Jacobs hat einen einfachen Vergleich zur Hand - aus der Ökonomie, also zur Debatte passend: "Das wäre ja, als ob ein kriselndes Unternehmen sein Erfolgsmodell vom Markt nähme."

Warum eigentlich Krise? Die Kirchen in Deutschland erwarten 2014 erneut steigende Steuereinnahmen; die rheinische Kirche verbuchte zuletzt pro Jahr fast 600 Millionen Euro. Rekowski und seine Mitstreiter halten das Sparen trotzdem für notwendig. Dahinter steht die beunruhigende Rechnung, dass mittelfristig Mitgliederzahl und Finanzkraft sinken dürften - und die Tatsache, dass die Landeskirche seit Jahren Defizit macht. "Solche Haushalte würden wir keinem Presbyterium durchgehen lassen", sagt Rekowski. Zugleich gehen die Rücklagen zur Neige, um die Defizite auszugleichen. Und dann sind da noch die immensen Pensionslasten für Pfarrer und Kirchenbeamte, die man endlich solide finanzieren muss.

Kein Wunder also, dass das Unbehagen tief geht. In Duisburg zeigte sich das, als Vizepräses Christoph Pistorius Kritikern entgegentrat, die auf große Dienstwagen, teure Diensthandys und ungekürzte Verwaltungsausgaben verwiesen hatten. Auch in seiner Abteilung werde gespart, sagte Pistorius: "Ich verkaufe das jeden Morgen meinen Mitarbeitenden, wenn ich auf die Station komme." Nun arbeitet Pistorius nicht in der Klinik, sondern im Kirchenamt. Das Raunen, als er "Station" sagte, zeigte allerdings: So ein Sparprozess hat was von einer Operation. Am offenen Herzen.

(RP)
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