Washington USA: Kompromiss um zwei Uhr morgens

Washington · Die Parteien im Senat erzielen eine erste Einigung im Haushaltsstreit. Endgültig ist die "Fiskalklippe" aber noch nicht umschifft.

Vizepräsident Joe Biden strahlte von einem Ohr zum anderen, als er nach dem Treffen mit den demokratischen Senatoren auf dem Capitol Hill vor die Kameras trat. "Frohes neues Jahr", begrüßte er am Silvesterabend die Reporter, die den Tag mit endlosem Warten in den Fluren des US-Senats verbracht hatten. "Genießen Sie es nicht, hier zu sein?", flachste Biden, bevor er den mit dem republikanischen Minderheitsführer Mitch McConnell geschnürten Rettungsfallschirm als Durchbruch feierte. "Wir werden ein prima Abstimmungsergebnis haben", berichtete der Vizepräsident aus der Fraktion.

Senatsführer Harry Reid hatte Biden tags zuvor den Vortritt gelassen, um die quälenden Verhandlungen abzukürzen. Statt zwischen Senat und Weißem Haus vermitteln zu müssen, konnte Biden als Chefunterhändler des Präsidenten in den Marathonverhandlungen am Telefon Nägel mit Köpfen machen – eine Aufgabe, bei der McConnell und Biden inzwischen Routine haben: Die beiden Senats-Veteranen hatten in den beiden vergangenen Jahren den Stillstand bei den Verhandlungen über die Schuldengrenze und die vorübergehend gesenkten Sozialabgaben überwinden können.

Auch die jetzt erzielte Vereinbarung ist ein klassischer Kompromiss, bei dem alle Beteiligten Kröten schlucken müssen: Das Weiße Haus milderte seine Pläne ab, die Steuern für Reiche zu erhöhen; die Republikaner mussten dafür ihre fundamentale Opposition gegen jegliche Steuererhöhung aufgeben. Sie stimmten auch dafür, die Hilfe für Langzeitarbeitslose weiterlaufen zu lassen. Und die drohenden pauschalen Haushaltskürzungen treten erst in zwei Monaten in Kraft. Damit haben Kongress und Weißes Haus mehr Zeit gewonnen, ein Sparpaket zu schnüren, das nicht mit dem Rasenmäher durch das Budget der Vereinigten Staaten geht.

Zuvor hatte sich US-Präsident Barack Obama nochmals an die Politiker gewandt und sie zu einer Einigung gedrängt. Eine Übereinkunft sei in greifbare Nähe gerückt, sagte der Präsident vor sorgfältig ausgewählten Vertretern der Mittelschicht – derjenigen Gesellschaftsgruppe also, die durch automatische Steuererhöhungen besonders hart getroffen würde.

Der Optimismus Obamas und seines Stellvertreters Joe Biden war am Ende gerechtfertigt. Es dauerte allerdings bis zwei Uhr morgens am Neujahrstag, ehe der Kompromiss mit 89 Ja- zu nur acht Nein-Stimmen durch den Senat ging. Da waren die USA formell bereits über die "Fiskalklippe" gefallen – die Frist für eine Einigung war um Mitternacht abgelaufen. Die automatischen Kürzungen und Steuererhöhungen hatten aber wegen des Feiertags zunächst keine Auswirkungen und können rückwirkend zurückgenommen werden. "Das sollte kein Vorbild dafür sein, wie Dinge hier künftig erledigt werden", räumte Minderheitsführer McConnell vor der Abstimmung ein.

Ob das in der anderen Kammer des Kongresses, im Repräsentantenhaus, genauso gesehen wird, ist noch offen. Obama beeilte sich jedenfalls, den Druck auf Parlamentssprecher John Boehner, einen Republikaner, zu erhöhen, den Rettungsfallschirm unverzüglich zur Abstimmung zu stellen. "Weder Demokraten noch Republikaner haben alles bekommen, was sie wollten", erklärte Obama. "Aber diese Vereinbarung ist der richtige Weg für unser Land, und das Repräsentantenhaus sollte sie ohne Verzögerung beschließen."

In einer ersten Reaktion auf den gefundenen Kompromiss signalisierte Boehner, er lasse sich nicht drängen: "Entscheidungen werden nicht getroffen, bevor die Mitglieder des Repräsentantenhauses und das amerikanische Volk die Möglichkeit hatten, einen Blick auf das Gesetz zu werfen." Laut Geschäftsordnung haben die Abgeordneten einen Anspruch darauf, jeden Gesetzentwurf 48 Stunden vor dem Votum zu prüfen. Am Abend war eine Abstimmung nicht in Sicht – der republikanische Fraktionschef Eric Cantor teilte laut CNN mit, dass er die Vereinbarung in der vorliegenden Form nicht mittragen werde.

Boehner steht im Wort, das im Senat beschlossene Gesetz zur Abstimmung zu bringen. Allerdings hielt er es sich offen, Änderungswünsche zurück an den Senat zu schicken. Vom rechten Tea-Party-Flügel seiner Partei kommt massiver Widerstand gegen die erste Steuererhöhung, der die Republikaner seit 1990 zustimmten. Jeder Änderungswunsch könnte den mühsam ausgehandelten Kompromiss wieder entgleisen lassen. Das Drama geht also weiter.

Das Notpaket verschafft allerdings der US-Wirtschaft nach Ansicht von Experten nur vorübergehend Luft. "Das hält uns erst mal von der Rezession fern", sagt Menzie Chinn, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Wisconsin-Madison. Die grundlegende Furcht vor einem Abgleiten in die Rezession bleibe aber bestehen.

(RP)
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