Gesellschaftskunde Von der Angst, das Beste zu verpassen

In der Überflussgesellschaft haben viele das Gefühl, wenn sie sich für ein Produkt entscheiden, entginge ihnen womöglich ein besseres. Das hält den Konsum in Schwung, macht aber unzufrieden.

Vielleicht liegt es an unseren Geschäften, daran, dass wir als Konsumenten stets die Wahl haben zwischen einer Masse von Produkten, die sich nur noch in Details voneinander unterscheiden. Wenn überhaupt.

Als Konsumenten haben wir gelernt, dass es zu allem, was wir erstehen möchten, eine Alternative gibt. Möglicherweise eine bessere. Dass wir uns also mit jeder Kaufentscheidung, mit jeder Festlegung, die Gefahr einhandeln, eine potenziell bessere Option zu verpassen. Diese Aussicht auf das vermeintlich Überlegene, das wir vielleicht übersehen haben oder das gleich morgen auf den Markt kommt, hält Wünsche wach und den Konsum in Schwung. Allerdings auch Produktion und Konsum von Dingen, die wir eigentlich nicht brauchen und die darum ein schales Gefühl hinterlassen. Spätestens wenn wir erkennen, dass wir eigentlich nur einer Verführung, einem vagen Versprechen auf etwas Besseres erlegen sind.

Noch bemerkenswerter aber ist, dass dieses Wahlverhalten unser Denken prägt. Denn auf einmal haben Menschen auch in anderen Lebensbereichen das Gefühl, zwischen Alternativen wählen zu müssen und dabei möglicherweise die optimale Option zu verpassen.

Das kann zum Beispiel die Freizeitplanung unter Druck setzen: Kino, Tanzen oder doch nur ein Bier? Mit Freunden verabreden oder lieber Sport machen? Oder einen Kurztrip übers Wochenende planen? Wer sich zu viel mit Optionen beschäftigt, verheddert sich nicht nur beim Entscheiden. Es beschleicht ihn auch Verpassensangst: jenes diffuse Gefühl, dass einem, egal, wie man sich entscheidet, etwas noch Tolleres entgeht.

Das macht unzufrieden, obwohl wir im Überfluss leben. Genau genommen macht es unzufrieden, weil wir im Überfluss leben. Und das macht auch vor Beziehungen nicht halt. Auch die Entscheidung für einen Menschen, mit dem man sein Leben teilen möchte, sehen viele heute nicht mehr als ein großes Glück, sondern als eine Festlegung, die zu viele Optionen ausschließt. Der wahlverwöhnte Konsument hat ja gelernt, dass jede Entscheidung für etwas Gutes schon die Revidierung zugunsten von etwas Besserem in sich trägt. Wer sich unreflektiert auf diese Logik einlässt, überträgt sie auf andere Lebensbereiche - und wird bald selbst in Beziehungen zu anderen Menschen keine Erfüllung mehr finden, weil die Angst zu verpassen an ihm nagt. Dagegen hilft nur innezuhalten, die eigenen Sehnsüchte zu hinterfragen und zu unterscheiden zwischen wahren Wünschen und Getriebenheit.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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