Koch-Mehrins holprige Wahl ins EU-Präsidium Wie die Grünen "Silvanieda" retteten

Straßburg (RPO). Die Blamage, als einzige der 15 Kandidaten nicht ins EU-Präsidium gewählt zu werden, ist FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin erspart geblieben. Peinlich wurde es für die 38-Jährige aber allemal – bis zum dritten Wahlgang hatte sie sogar hinter dem rechtslastigen Polen Kaminski gelegen. Gerettet wurde die Liberale von den Grünen – wohl auch dank eines Twitter-Eintrags.

 Die Einträge auf der Twitter-Seite von Reinhard Bütikofer.

Die Einträge auf der Twitter-Seite von Reinhard Bütikofer.

Foto: screenshot/twitter

Straßburg (RPO). Die Blamage, als einzige der 15 Kandidaten nicht ins EU-Präsidium gewählt zu werden, ist FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin erspart geblieben. Peinlich wurde es für die 38-Jährige aber allemal — bis zum dritten Wahlgang hatte sie sogar hinter dem rechtslastigen Polen Kaminski gelegen. Gerettet wurde die Liberale von den Grünen — wohl auch dank eines Twitter-Eintrags.

Denn einen gewissen Anteil an Koch-Mehrins "Erlösung" dürfte der Europawahl-Spitzenkandidat der Grünen, Reinhard Bütikofer, gehabt haben. Der frühere Parteivorsitzende rief seine Kollegen auf seiner Twitter-Seite zur Wahl der ungeliebten Liberalen auf.

"Koch-Mehrin hat auch im 2. Wahlgang Schlappe erlitten. Letzter Platz! Jetzt werden wir Grüne sie retten", postete der 56-Jährige im Netzwerk. "Schließlich wollen wir Grüne nicht den polnischen Rechtsaußen Kaminski als Vizepräsident. Der ist schlimmer als Silvanieda."

Einen Seitenhieb konnte sich Bütikofer also nicht verkneifen. Durch die Verwendung des Spitznamens "Silvanieda" schloss er sich ausdrücklich den Kritikern Silvana Koch-Mehrins an, die ihr mangelndes Engagement und dauernde Abwesenheit bei wichtigen Ausschusssitzungen unterstellt hatten.

Im nächsten Eintrag gibt Bütikofer dann eine klare Anweisung zugunsten der FDP-Politikerin. "Koch-Mehrin 'retten' heißt: im 3. Wahlgang für sie stimmen." Seine Kollegen schienen Folge zu leisten. Dass sie schließlich doch gewählt wurde, verdankt die FDP-Politikerin also mit hoher Wahrscheinlichkeit den Grünen. Zwischen "zwei Übeln" hätten sich die Grünen für das geringere entschieden, bestätigte auch ein Fraktionssprecher. Koch-Mehrin habe aber einen Denkzettel verpasst bekommen.

Tiefpunkt einer steilen Karriere

Es war dennoch der Tiefpunkt in Koch-Mehrins ansonsten steiler Karriere. Bisher ging für sie in der Politik stets alles glatt. 2004 verschaffte sie der FDP als deren Spitzenkandidatin den Wiedereinzug ins Europaparlament, fünf Jahre später verbesserte sie das Ergebnis auf sensationelle elf Prozent. Doch nun musste die Powerfrau der FDP eine deftige Ohrfeige hinnehmen.

Die 38-Jährige nahm das Votum sichtlich erleichtert auf. "Ich freue mich, dass die Vernunft gesiegt hat", sagte Koch-Mehrin. Das strahlende Lächeln, mit dem sie noch vor einigen Wochen auf allen Wahlkampfplakaten um Stimmen für die FDP geworben hatte, war allerdings aus ihrem Gesicht verschwunden. Schließlich lag sie in den beiden ersten Durchgängen hinter dem Polen Michal Tomasz Kaminski von der rechtslastigen PiS-Partei, der im Parlament mehrfach mit rassistischen und schwulenfeindlichen Parolen aufgefallen war.

Gemäß Geschäftsordnung schied der Kandidat mit dem schlechtesten Ergebnis aus. Mit 174 von 644 gültigen Stimmen war das letztlich Kaminski. Koch-Mehrin brachte es auf 186 Stimmen - das zweitschlechteste Resultat.

Der Dämpfer kam freilich nicht ganz unerwartet. Zahlreiche Abgeordnete werfen der Politikerin schon seit langem vor, mehr in Talkshows und People-Magazinen zu glänzen, als im Europaparlament. Der CDU-Politiker Werner Langen (CDU) hat nach Durchsicht der Sitzungsprotokolle ausgerechnet, dass die Liberale im Haushaltsausschuss vier von fünf Sitzungen schwänzte, im Haushaltskontrollausschuss sogar neun von zehn. Sein Fraktionskollege Markus Ferber (CSU) sagte noch wenige Tage vor der Europawahl, unter den Unions-Europaabgeordneten gebe es "erhebliche Zweifel" an der Qualifikation Koch-Mehrins für das Amt einer Vize-Präsidentin.

Ärger nach "Landschulheim"-Vergleich

Übelgenommen wurde der Politikerin zudem ein Interview mit der "Bunten". Darin hatte sie im November ihren Parlamentskollegen vorgeworfen, mit einem lockeren Lebenswandel während der Straßburger Plenartagungen massenweise Prostituierte anzulocken. Dann gehe es zu "wie im Landschulheim - nach dem Motto: Hier kennt mich keiner, hier kann ich machen, was ich will." Nach heftigen Protesten ruderte Koch-Mehrin zurück. In einem Brief an alle Abgeordneten entschuldigte sich die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin, die mit ihrem irischen Lebensgefährten drei Kinder hat, für ihre Äußerungen.

Trotz der harschen Kritik stellte sich die FDP-Spitze demonstrativ hinter ihre Spitzenkandidatin. Offenbar passe es "nicht in das Weltbild der Konservativen, wenn eine Mutter von drei Kindern erfolgreich in der Politik und volksnah" sei, sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Mit Blick auf die Bundestagswahl warnte er zudem vor den Folgen, die eine Abfuhr für Koch-Mehrin für die Beziehungen zwischen den Unionsparteien und der FDP haben könnte. "So entsteht jedenfalls keine Vertrauensbasis für eine künftige engere Zusammenarbeit."

Ob diese Mahnung auch einige Unionspolitiker im Straßburger Parlament zum Umschwenken brachte, ist nicht zu sagen. Die Wahl der Vize-Präsidenten ist geheim. Über den Denkzettel dürften sich aber nicht wenige freuen. Das Amt einer Vize-Präsidenten sei mit zusätzlicher Arbeit verbunden, meinte die Ko-Vorsitzende der Grünen, Rebecca Harms. "Frau Koch-Mehrin wird sich nun wohl öfters im Parlament blicken lassen müssen."

mit Material von AFP.

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