Analyse Die SPD hat das Siegen verlernt

Berlin (RP). Lähmendes Entsetzen in der SPD-Führung: Trotz Geschlossenheit und Konzentration auf die Stammwähler erleiden die Sozialdemokraten ein Debakel. Sie können ihre Klientel nicht mobilisieren und ihren neuen Kurs nicht kommunizieren. Einziger Trost: Die Linkspartei wird wieder schwächer. Die Grünen triumphieren über ihr gutes Abschneiden.

 Der SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering spricht am Sonntag in Berlin nach der Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen.

Der SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering spricht am Sonntag in Berlin nach der Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen.

Foto: AP, AP

Für den SPD-Wahlkampf-Manager Kajo Wasserhövel war es klar. "Wenn du gewinnst, war alles richtig, wenn du verlierst, alles falsch”, meinte er unlängst, auf die umstrittenen Wahl-Plakate der Partei zu Europa angesprochen. Er wird den Genossen erklären müssen, was die Aktion mit den Finanzhaien oder der heißen Luft bezwecken sollte und warum sie kaum SPD-Wähler an die Urnen lockte.

Müntefering: Da hat hat gar nichts geklappt

Am Wahlabend gab sich der Chefstratege des SPD-Wahlkampfs kleinlaut. "Das hat gar nicht geklappt. Da gibt es nichts zu beschönigen.” Weil wirklich alles klar war, traten SPD-Chef Franz Müntefering und der Spitzenkandidat für die Europawahl, Martin Schulz, schon kurz nach der ersten Hochrechnung auf die Bühne des Willy-Brandt-Hauses, der Zentrale der SPD. "Wir hatten ein Mobilisierungsproblem”, befand der SPD-Lenker kurz und bündig, um dann gleich wieder den Blick nach vorne zu richten. "In 112 Tagen ist Bundestagswahl. Dafür müssen wir kämpfen, ohne zu zögern und ohne uns von diesem Ergebnis beeindrucken zu lassen.”

Das klingt nach lautem Pfeifen im dunklen Wald. Ehrlicher ist da die Analyse des Berliner SPD-Fraktionsvorsitzenden Michael Müller. "Ich kann mir das nicht erklären”, meinte er zum unerwarteten Debakel von 21 Prozent. In der Hauptstadt ist die SPD gerade einmal Nummer drei ­ nach CDU und Grünen. In Bayern liegt sie nach Zwischenergebnissen nur zwei Prozentpunkte vor der erfolgreichen Alternativpartei. Und das, obwohl nicht gestritten wird und sich die SPD-Gewaltigen jeden Tag für gefährdete Arbeitsplätze einsetzen. Bei Opel, Arcandor oder Porsche.

Die "heimliche Parteivorsitzende” Andrea Nahles, die Sozialexpertin der Partei, versuchte wenigstens in Ansätzen eine Analyse. "Wir müssen uns um die Älteren stärker kümmern. Die sind auch in der Mehrzahl zu Hause geblieben.” Sie wirkte weniger geschockt als die übrige Führungsriege. Spielt die Niederlage langfristig für sie?

Der scheidende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, hatte zu Erklärungsversuchen hingegen gar keine Lust. "Ich wünsche Ihnen gute Arbeit”, raunzte er den wartenden Journalisten zu und verschwand raschen Schrittes in ein Arbeitszimmer im Erdgeschoss. Wortlos eilte sein Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann erst von oben nach unten im gläsernen Treppenhaus der Parteizentrale, um angesichts der unübersichtlichen Menge im Foyer unten gleich wieder hinaufzusteigen. Dort war die Anspannung mit Händen zu greifen, die Stimmung lag völlig am Boden. Spitzenkandidat Schulz versagte schier die Stimme, als er von einem "schwierigen Tag” spricht, wenn man "so gekämpft und doch verloren hat”.

Um so triumphierender die Grünen, der mögliche Koalitionspartner für einen Wechsel in Berlin. Von den Spitzenkandidaten Reinhard Bütikofer und Rebecca Harms ist zwar nicht allzu viel zu sehen. Dafür gab der nicht mehr ganz neue Parteivorsitzende Cem Özdemir ein Interview nach dem anderen. Seine gut gelaunte Amtskollegin Claudia Roth erwies sich nach den teils unerwarteten Stimmenergebnissen wieder einmal als Stimmungskanone beim Wahlfest in der Heinrich-Böll-Stiftung, und Bundestagswahl-Spitzenkandidat Jürgen Trittin dachte scherzhaft über neue Optionen jenseits der SPD nach. So sehen Sieger aus, die ihr gutes Ergebnis von vor fünf Jahren abermals steigerten und auch die ungeliebte FDP auf den vierten Platz verwiesen haben.

Selbst die Aktion mit dem "Wums”-Plakat hat offenbar gezündet. Anders als die SPD-Wähler liebt die Klientel der Grünen unkonventionelle Wahlwerbung. Noch so ein kleiner, aber feiner Unterschied.

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