Kommentar zum Armutsbericht der EU Die soziale Kluft ist tiefer denn je

Brüssel · Die obersten Euro-Retter reden dieser Tage viel von Trendwende im Kampf gegen die Schuldenkrise. Das Schlimmste sei vorüber, heißt es mit Blick auf die Beruhigung an den Finanzmärkten. Das mag ökonomisch betrachtet stimmen. Doch es ist ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die durch die Krise in Armut und Arbeitslosigkeit gerutscht sind. 18,82 Millionen Menschen sind allein in den Ländern der Währungsunion ohne Job – ein historisches Rekordhoch.

Die obersten Euro-Retter reden dieser Tage viel von Trendwende im Kampf gegen die Schuldenkrise. Das Schlimmste sei vorüber, heißt es mit Blick auf die Beruhigung an den Finanzmärkten. Das mag ökonomisch betrachtet stimmen. Doch es ist ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die durch die Krise in Armut und Arbeitslosigkeit gerutscht sind. 18,82 Millionen Menschen sind allein in den Ländern der Währungsunion ohne Job — ein historisches Rekordhoch.

Mehr noch: Die Gemeinschaft zerfällt zunehmend in einen reichen Norden und einen siechenden Süden. Die soziale Kluft ist tiefer denn je. Waren die Unterschiede in den Arbeitslosenraten zwischen den Nord- und Südländern der Währungsunion 2007 nahezu ausgeglichen, sind sie seit dem Beginn der Finanz- und Schuldenkrise auf 7,5 Prozent gewachsen.

Während Familien in Griechenland gegenüber 2009 fast ein Fünftel weniger Geld (17 Prozent) ausgeben können, haben Menschen in Deutschland und Frankreich trotz Krise mehr in der Tasche. Allein in Athen sind bereits 20 000 Menschen obdachlos. Hilfsorganisationen schätzen, dass jeder Dritte früher der Mittelschicht angehörte. Die Südländer stecken in einem Teufelskreis und Rezession und Arbeitslosigkeit fest. Die EU spricht von einer "massiven Armutsfalle".

Diese Entwicklung birgt enormes Sprengpotenzial. Denn sie geht an Europas Grundfesten: für Generationen von Menschen war und ist die Gemeinschaft ein Garant für eine bessere Zukunft. Frieden und Wohlstand sind die Triebfeder der Einigung. Viele junge Spanier und Griechen dürften das befremdlich finden. Fast 60 Prozent von ihnen haben keine Arbeit, sehen für sich keine Perspektive in ihrer Heimat. Die Krise bringt eine Generation der Hoffnungslosen hervor. Sie werden zunehmend aufbegehren, aus Frust und Verzweiflung Populisten wie Nationalisten Aufwind verschaffen.

Europa darf sie nicht verlieren. Sonst ist es verloren. Klar ist: an schmerzhaften Strukturreformen führt kein Weg vorbei. Und dummerweise dauert es, bis sie wirken. Das hat auch Deutschland spüren müssen. Doch trotz aller Notwendigkeit des Sparens muss mehr Raum für Zukunfts-Ausgaben geschaffen werden: dazu gehören Investitionen in Ausbildung und Jobs für die Menschen. Dafür ist nicht unbedingt mehr Geld nötig. Ein beherztes Umverteilen würde schon viel bringen — mit Kürzungen bei der EU-Verwaltung und den Agrarsubventionen.

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