Breite Zustimmung für Brand-/ Griese-Gesetzentwurf Sterbehilfe soll kein Geschäft sein

Berlin · Es gibt Organisationen, die Menschen geschäftsmäßig beim Suizid helfen. Damit möchte eine parteiübergreifende Gruppe von zehn Parlamentariern Schluss machen. Ihr Gesetzentwurf hat gute Chancen, die Mehrheit im Parlament zu finden.

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In der Debatte um die Sterbehilfe zeichnet sich eine Neuregelung ab, die die heute bestehenden Möglichkeiten von Ärzten und Angehörigen zur Sterbebegleitung weitgehend erhalten will. Eine Gruppe, die aus zehn Abgeordneten aller fünf im Bundestag vertretenen Parteien besteht, legte am Dienstag einen Gesetzentwurf vor, den sie selbst als "maßvoll und sensibel" bezeichnet. Die Abgeordneten wollen Menschen, die systematisch Hilfe "zum Sterben" leisten, das Handwerk legen. Wer im Einzelfall nur Hilfe "beim Sterben" leistet, bleibt hingegen von einer Strafe verschont.

In Deutschland wird das Thema Sterbehilfe seit Jahren kontrovers diskutiert. Bereits die Vorgänger-Regierung hatte einen Anlauf unternommen, gewerbsmäßig arbeitende Vereine für Sterbehilfe zu verbieten. Union und FDP konnten sich aber nicht einigen. Nun hat die große Koalition den weisen Entschluss gefasst, dass die Abstimmung an keine Fraktionsdisziplin gebunden sein soll. Das heißt, die Abgeordneten sollen bei der Abstimmung nur ihrem Gewissen folgen — wie dies häufig bei ethischen Fragen zwischen Leben und Tod der Fall ist.

Der Begriff Sterbehilfe ist nicht exakt. Eigentlich geht es um die Frage der Beihilfe zum Suizid. Töten auf Verlangen, was auch als Sterbehilfe bezeichnet werden kann, ist in Deutschland ohnehin verboten. Und soll es auch bleiben.

Der Gesetzentwurf, den federführend der CDU-Abgeordnete Michael Brand und die SPD-Politikerin Kerstin Griese ausgearbeitet haben, sieht ein Verbot von "geschäftsmäßiger" Beihilfe zur Selbsttötung vor. Die mögliche Beihilfe zum Suizid solle nicht zum "Dienstleistungsangebot" werden, meinen die Befürworter des Gesetzentwurfs. So sollen jene Vereine oder auch einzelne Ärzte belangt werden können, die systematisch Beihilfe zum Suizid anbieten. Ärzte und Angehörige, die todkranken Menschen hohe Dosen an lebensverkürzenden Schmerzmedikamenten verabreichen, bleiben rechtlich in einem Bereich, wo ihnen keine Strafen drohen. In Zweifelsfällen müssen Gerichte entscheiden. Das ist auch heute schon so. "Bislang gibt es keinen solchen Fall, der vor Gericht ging", sagt Griese.

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Die Befürworter des Gesetzentwurfs wollen einem aus ihrer Sicht gefährlichen gesellschaftlichen Trend entgegenwirken, wonach eine regelmäßige Vermittlung todbringender Medikamente einen gesellschaftlichen "Gewöhnungseffekt" erzeugen könnte. Zahlen aus dem Ausland belegen, dass die Sorge begründet ist: In Belgien hat sich die Zahl der Todesfälle durch Sterbehilfe seit der Freigabe im Jahr 2002 von damals 235 auf heute rund 1400 versechsfacht. In der Europäischen Union erlauben zudem die Niederlande und Luxemburg die Tötung auf Verlangen.

"Wir müssen die Menschlichkeit auch in schweren Zeiten schützen", sagte Brand. Die Neuregelung soll mit Verbesserungen bei der Palliativ- und Hospizversorgung einhergehen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) legte dazu bereits einen Gesetzentwurf vor, der zeitlich parallel mit der Neuregelung bei der Sterbehilfe im Bundestag diskutiert werden soll.

Bei der ersten Lesung zur Sterbehilfe Anfang Juli im Bundestag werden voraussichtlich vier verschiedene Gesetzentwürfe miteinander konkurrieren. Ein Vorschlag von Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) will die Bedingungen regeln, unter denen ärztlich assistierter Suizid zugelassen wird. Eine solche Neuordnung würde wahrscheinlich zu mehr Fällen von Beihilfe zum Suizid führen. Noch weiter geht die Grünen-Politikerin Renate Künast, die auch die über Vereine organisierte Sterbehilfe zulassen möchte. Die radikal gegenteilige Position vertritt ein Gesetzentwurf des CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg, der Ärzte und Angehörige mit hohen Strafen belegen will, die beim Selbstmord helfen.

"Wir rechnen uns aus, dass unser Antrag mehrheitsfähig ist", sagte Griese. Schon am Tag der Vorstellung signalisierten eine Reihe prominenter Vertreter aus Union und SPD ihre Zustimmung. Zu den Unterstützern zählen die Fraktionschefs Volker Kauder (CDU) und Thomas Oppermann (SPD) sowie Gröhe und Rechtsexperte Wolfgang Bosbach (CDU). In der SPD favorisieren auch Arbeitsministerin Andrea Nahles, Umweltministerin Barbara Hendricks, die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Parlamentsgeschäftsführerin Christine Lambrecht den Entwurf.

Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery begrüßte den Gesetzentwurf verhalten: Er gehe in die "richtige Richtung". In der Frage der Sterbehilfe ist die Ärzteschaft gespalten. Ein Beschluss des Ärztetags sieht unter Androhung der Aberkennung der Approbation vor, dass den Medizinern auch im Einzelfall die Beihilfe zum Suizid verboten ist. Damit ist die ärztliche Regelung strenger als die geltende gesetzliche. Allerdings haben nicht alle Landesärztekammern den Beschluss ratifiziert. Montgomery ist ein Verfechter der strengen Linie. Er mahnt, die Ärzte müssten "Hilfe zum Leben geben, nicht Hilfe zum Sterben". Sollte sich der Gesetzentwurf von Brand und Griese durchsetzen, wie es sich bereits abzeichnet, ändert sich auch für die Ärzte in der Praxis nichts. Sie dürften dann nicht mehr oder weniger unternehmen als Angehörige oder andere Vertrauenspersonen.

Es soll nur eine Ausnahmeregelung für Angehörige geben: Wer einen sterbenswilligen Verwandten in ein Nachbarland bringt, in dem Sterbehilfe-Vereine erlaubt sind, soll nicht belangt werden - auch wenn er damit Beihilfe zur in Deutschland verbotenen Sterbehilfe leistet. Dieser Fall hatte Schlagzeilen gemacht, als der damalige EKD-Vorsitzende Nikolaus Schneider öffentlich bekannte, dass er seiner krebskranken Frau bei einer Selbsttötung entsprechend beistehen würde.

(qua)