Guido Westerwelle im Interview "Ich bin zu jung fürs Altenteil"

Berlin · Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) spricht im Interview mit unserer Redaktion über seinen Rückzug von der Parteispitze, seinen Nachfolger Philipp Rösler, die niedrigen Umfragewerte der Liberalen und die Herausforderungen der deutschen Außenpolitik.

Ein Meister der Zuspitzung
Infos

Ein Meister der Zuspitzung

Infos
Foto: dapd

Vor einem Jahr wurden Sie unsanft aus dem Amt entfernt. Die FDP lag in Umfragen zwischen vier und sechs Prozent. Heute liegt sie bei zwei Prozent. Hat man Ihnen Unrecht getan?

Westerwelle Mein fünfzigster Geburtstag war ein Anlass, mit Dankbarkeit auf das vergangene Lebensjahrzehnt zurückzuschauen. Nun widme ich mich mit Kraft und Zuversicht den nächsten Jahren. Mit 50 Jahren fühle ich mich noch zu jung fürs Altenteil. Ich weiß um meine Schwächen und kenne auch meine Fehler in der Vergangenheit. Aber in vielen Glückwünschen hieß es auch, übrigens nicht nur von politischen Weggefährten, dass ich eine ordentliche Bilanz meiner Arbeit vorzuweisen habe.

Waren auch Parteifreunde dabei, die sich für ihre Kritik entschuldigt haben?

Westerwelle (lacht) Wer austeilen kann, muss auch einstecken können. Ich habe Verständnis dafür, dass man im Eifer des Gefechts auch mal über das Ziel hinausschießt.

Wie kommt die FDP wieder nach oben? Was ist dabei Ihre Rolle?

Westerwelle Das Land steht wirtschaftlich sehr gut da. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Tiefstand, die Jugendarbeitslosigkeit so niedrig wie nirgendwo in Europa. Die Schulden werden deutlich zurückgeführt, und die Nettolöhne und Renten steigen endlich wieder. In der Europapolitik sind es die Liberalen, die auf Stabilität und fiskalische Disziplin setzen und weiter dringen werden. SPD und Grüne setzen dagegen mit Eurobonds und Steuererhöhungen auf Umverteilung, in Europa und in Deutschland. Für uns Liberale bleibt es dabei: Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt, für uns kommt Privat vor dem Staat, Freiheit und Bürgerrechte statt Bevormundung und Gängelung, Erwirtschaften steht vor dem Verteilen. Wir sind die einzige Partei, für die Freiheit wichtiger ist als Gleichheit. Und übrigens: Wir haben als FDP immer noch so viele Mandate in Europa, Bund, Ländern und Kommunen wie selten zuvor. Ich möchte dazu beitragen, dass die Arbeit der Bundesregierung das Ansehen Deutschlands mehrt und wir 2013 mit einer ordentlichen Bilanz vor die Wähler treten können.

In den Umfragen ist die FDP doch kaum noch wahrzunehmen.

Westerwelle Wir werden das Blatt wenden. Ich habe gelernt, dass es keinen Sinn macht, das Wasser unter der Brücke zu beklagen, sondern richte den Blick nach vorne.

Da ist aber ganz schön wenig Wasser.

Westerwelle Mir hat ein Freund neulich Zeitungsartikel aus den 60er Jahren über die FDP geschickt. Diejenigen, die damals schon das sichere Ableben der FDP vorausgesagt haben, wurden durch die Geschichte widerlegt. So wird es jetzt auch wieder sein. Wir schauen nach vorne. Unterschätzen Sie nicht den Mut und die Kampfkraft der Liberalen. Wir werden diese schwierige Situation meistern. Wir sind kampferprobt und haben engagierte Mitglieder. Wenn es darauf ankommt, weiß jeder Liberale, wo er steht.

Philipp Rösler hat vor einem Jahr gesagt, alle müssten sich im Kabinett bewähren. Er meinte vor allem Sie. Hat sich Rösler als Vorsitzender bewährt?

Westerwelle Ich unterstütze Philipp Rösler. Es gibt Situationen, wo sich eine Partei nicht nur hinter ihre Führung, sondern auch vor sie stellen muss. Ich unterstütze die neue Parteiführung, ohne Wenn und Aber.

Was fehlt der FDP denn im Moment?

Westerwelle Das Dreikönigstreffen war ein guter Start ins neue Jahr, trotz der saarländischen CDU. Das Thema ist gesetzt: Wir setzen auf Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand. Und ich sage auch als Außenminister: Wir genießen überall in der Welt großes Ansehen. Nicht etwa zuerst, weil wir eine große Armee hätten. Sondern weil unsere Wirtschafts- und Innovationskraft beeindruckt und vielen als Vorbild dient. Daran hat die FDP wesentlichen Anteil. Das werden wir auch wieder stärker herausstreichen. Erfolgreiche Länder, auch die neuen Kraftzentren in Asien und Lateinamerika, investieren in Innovation, neue Energien, in Bildung und in den Mittelstand. Das sind Erfolgsthemen für uns Liberale.

Die FDP reklamiert den Aufschwung für sich?

Westerwelle Seitdem Union und FDP 2009 die Bundesregierung übernommen haben, ist die Lage Monat für Monat besser geworden. Wir haben so wenig Arbeitslose wie lange nicht mehr, die Haushalte werden konsolidiert. Gleichzeitig haben wir zwölf Milliarden Euro mehr in die Bildung investiert und Familien, Arbeitnehmer und mittelständische Unternehmen entlastet. Am Ende dieser Legislaturperiode wird eine vierköpfige Familie deutlich mehr Einkommen in der Tasche haben. Das sind die Fakten.

FDP-Chef Rösler spricht doch gar nicht mehr von Steuersenkungen.

Westerwelle Wir haben zu Beginn der Legislaturperiode die Familien, Arbeitnehmer und den Mittelstand um mehr als 20 Milliarden Euro entlastet. Die jetzt beschlossene Korrektur der kalten Progression im Steuerrecht ist richtig. Ich würde mich doch sehr wundern, wenn SPD und Grüne die Beseitigung dieser Ungerechtigkeit zulasten kleiner und mittlerer Einkommen blockieren. Selbst das Verfassungsgericht mahnt eine Änderung an.

Die Euro-Krise ist mit Wucht zurückgekehrt. Warum profitiert die Wirtschaftspartei FDP nicht von der Sorge um die Währung?

Westerwelle Für eine Bilanz ist es zu früh. Die europäische Schuldenkrise wird uns noch lange, wahrscheinlich noch über 2013 hinaus beschäftigen. Bei der Bewältigung der Krise haben die Liberalen den Kurs entscheidend mitgeprägt. Die FDP hat die Vergemeinschaftung der Schulden über Eurobonds verhindert. Man kann eine Schuldenkrise nicht bekämpfen, indem man das Schuldenmachen erleichtert. Dass es künftig europaweit automatische Sanktionen für Defizitsünder geben soll, ist ein liberaler Erfolg. Und wir haben mit dem Mitgliederentscheid klargemacht, dass die FDP eine pro-europäische Partei ist und bleibt. Wir üben Solidarität in Europa, aber nur mit klaren Regeln und den notwendigen Reformen in den Schuldenländern.

Wer setzt die automatischen Sanktionen künftig durch?

Westerwelle Ich habe seit Monaten in Europa darauf gedrungen, die notwendigen Schritte zu einer europäischen Stabilitätsunion auch vertraglich abzusichern. Es ist gut und richtig, dass Deutschland sich mit dieser Forderung in Brüssel durchgesetzt hat. Die Verhandlungen sind weit fortgeschritten. Der Europäische Gerichtshof wird eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der nationalen Schuldenbremsen haben, den Mitgliedstaaten wird — anders als noch 2004, als Rot-Grün ungestraft den Stabilitätspakt aufweichen konnte — die Möglichkeit genommen, das Sanktionsverfahren aus politischen Gründen zu stoppen.

Der Iran setzt sein Atomprogramm fort, wir lesen täglich von wechselseitigen Drohungen zwischen Iran und den USA. Steuern wir auf einen militärischen Konflikt zu?

Westerwelle Wir sollten eine ohnehin angespannte Situation in einer unruhigen Region nicht noch zusätzlich aufladen. Klar ist, dass uns das iranische Nuklearprogramm größte Sorgen bereitet. Iran ignoriert seit Jahren seine völkerrechtlichen Pflichten und reichert weiter an. Auch nur die Option einer nuklearen Bewaffnung Irans hätte weitreichende negative Folgen weit über die Golfregion hinaus. Sie ist daher nicht hinnehmbar. Deshalb zielen wir mit neuen Sanktionen, die wir noch in diesem Monat beschließen wollen, jetzt auf das Herz des iranischen Nuklearprogramms: auf sein Öl und damit seine Finanzquellen. Die Tür zum Dialog mit Iran steht aber gleichzeitig weiter offen.

(RP/felt/csi/jre)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort