Eilentscheidung bremst Euro-Rettung Das Karlsruher Stoppschild

Karlsruhe (RP). Wieder hat das höchste deutsche Gericht der Berliner Politik in die Speichen gegriffen – diesmal mit einer Eilentscheidung gegen ein Mini-Sondergremium des Bundestages für dringliche und vertrauliche Euro-Rettungsaktionen.

Das sind die Instrumente zur Euro-Rettung
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Karlsruhe (RP). Wieder hat das höchste deutsche Gericht der Berliner Politik in die Speichen gegriffen — diesmal mit einer Eilentscheidung gegen ein Mini-Sondergremium des Bundestages für dringliche und vertrauliche Euro-Rettungsaktionen.

Die Regierungsfraktionen hätten gewarnt sein müssen; lag doch das im Wege einer Einstweiligen Anordnung verfügte Veto des höchsten deutschen Gerichts gegen die Konstituierung eines parlamentarischen, neunköpfigen Mini-und Geheimgremiums für eilbedürftige und vertrauliche Entscheidungen zur Euro-Rettungsaktionen in der Karlsruher Luft.

Denn seit einiger Zeit schon zieht sich wie der sprichwörtliche rote Faden durch die Europa-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, was dessen Präsident Andreas Voßkuhle (47) vor kurzem so formulierte: "Versuche, Recht und Regeln im Hinterzimmer oder unter Hinweis auf konkrete Nöte zu umgehen, haben ungeahnte Langzeitwirkungen, vor denen ich nur warnen kann."

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Zweite Senat unter seinem Vorsitzenden Voßkuhle über das von den SPD-Abgeordneten Peter Danckert und Swen Schulz angestrengte Organstreitverfahren (Art. 93 I, Nr. 1 Grundgesetz) in der Hauptsache urteilt, ist das am vergangenen Mittwoch ins Leben gerufene Sondergremium des Bundestags-Haushaltsausschusses handlungsunfähig. Es hat sich gestern auch gar nicht — wie vorgesehen — konstituiert. Wahrscheinlich wird man in Berlin kurz vor Weihnachten, wenn voraussichtlich die Entscheidung in der Hauptsache fallen wird, sogar sagen können, das Mini-Gremium sei eine parlamentarische Totgeburt gewesen — nicht lebensfähig vor dem Grundgesetz.

Bei der von Danckert und Schulz beantragten einstweiligen Anordnung musste das Bundesverfassungsgericht nach altem Brauch Folgendes abwägen: Würden den Antragstellern gewichtige Nachteile entstehen, wenn die Anordnung nicht erginge, sie in der Hauptsache später jedoch Recht bekämen? Oder überwögen die Nachteile des Bundestages, wenn die Anordnung erginge, in der Hauptsache jedoch die Antragsteller unterlägen?

Der Senat bewertete die Nachteile der beiden Abgeordneten als gewichtiger. Diese wären irreversibel in ihren Statusrechten (Art. 38 GG) als Parlamentarier verletzt, wenn die Einstweilige Anordnung nicht erginge und das Sondergremium völkerrechtlich bindende Entscheidungen treffen könnte.

Angespanntes Verhältnis zwischen Berlin und Karlsruhe

Der jüngste Beschluss steht in einer Reihe von Entscheidungen aus Karlsruhe, die in der Politik für Verärgerung sorgen. Das Verhältnis zwischen Karlsruhe und Berlin ist angespannter denn je. "Die Politik geht nonchalant mit den Grundrechten um", heißt es in Karlsruhe. Die Richter mischten sich zu sehr in die Politik ein, entgegnen die Berliner Koalitionspolitiker.

Vor allem NRW-CDU-Chef, Umweltminister Norbert Röttgen, der den Karlsruher Richtern eine zunehmend politische Rolle unterstellt, und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der zugunsten seiner europäischen Visionen gerne auf nationale Souveränität verzichten würde, äußern sich kritisch. Schäuble verweigerte den Applaus, als Voßkuhle am Jahrestag der Deutschen Einheit in Bonn über die Grenzen Europas sprach: Das Parlament, und damit die vom deutschen Volk gewählten Vertreter, müssten jeder Kompetenzübertragung nach Europa zustimmen — auch in einer Krise wie dieser, in der die Finanzmärkte nach raschen Lösungen riefen.

In Karlsruhe wird darauf verwiesen, dass die Grundsatzentscheidung zu den Griechenland-Hilfen eine "rote Linie" markiert habe. Das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang September zwar den europäischen Rettungsschirm gebilligt, aber dem Bundestag weitgehende Rechte eingeräumt. Mit 8 : 0 Richter-Stimmen war die Entscheidung gefällt worden. Das grundsätzliche Ja zu den Rettungsaktionen sei keine Blanko-Ermächtigung für weitere Rettungspakete, warnten die höchsten Richter.

In Berlin gehen einige davon aus, dass Karlsruhe einem weiteren Rettungspaket nicht mehr zustimmen werde. Oft wird auch Voßkuhles Satz zitiert, dass der vom Grundgesetz gezogene Rahmen für weitere Schritte zur europäischen Integration "wohl weitgehend ausgeschöpft" sei. Von einer neuen Verfassung, einem europatauglichen Grundgesetz, ist bereits die Rede.

Mit wie vielen Milliarden darf Deutschland andere Euro-Länder unterstützen? Wann tritt eine Überforderung des Nationalstaats ein? Irgendwann werde das Karlsruhe "nüchtern und juristisch" beantworten müssen, heißt es am Verfassungsgericht.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) meinte gestern: "Es wird schwieriger, aber der Bundestag ist handlungsfähig." Der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke ergänzte, man müsse abwarten, ob der Beschluss im Eilverfahren im Hauptverfahren so bestehen bleibe. SPD-Haushaltssprecher Carsten Schneider stichelte, die Koalition stehe vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Gegenüber unserer Zeitung fügte Schneider hinzu, die SPD habe sich dafür eingesetzt, dass bei Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit grundsätzlich der Haushaltsausschuss die Entscheidung trifft. Dabei bleibe es.

(RP)
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